12.02.2015

100 Tage ist Gerd Holl im Amt. Einen davon hat der neue Chef von Electrolux Deutschland als Hiwi im Außendienst verbracht. Sein Job: Geschirrspüler schleppen in Fürth und Erlangen.

Gerd Holl, General Manager Electrolux Deutschland und Österreich: „Wir werden die Bedürfnisse unserer Kunden noch stärker in den Mittelpunkt rücken.“ Foto: Biermann

Für eine Hauptrolle als „Undercover Boss“ bei RTL reicht der Praxiseinsatz als Hilfskraft sicher nicht, aber das Signal ist deutlich. Für Gerd Holl soll das Engagement in Nürnberg mehr sein als eine Stippvisite. Er will das Unternehmen verstehen. Die Marke. Die Kunden. Und seine Mitarbeiter. Damit knüpft er an die Strategie seines Vorgängers Klaus Wührl an. Schon Wührl hatte der altehrwürdigen AEG als „Frontman“ bei aller fachlichen Kompetenz auch ein menschliches Gesicht gegeben – und damit viel Erfolg gehabt. Atmosphärisch und wirtschaftlich. Seinen im vergangenen Sommer selbst initiierten Abschied vom operativen Geschäft  und vom Unternehmen haben viele Wegbegleiter in Nürnberg mit eineinhalb tränenden Augen verfolgt. Die erfrischend direkte und dabei angenehm verbindliche Art seines Nachfolgers dürften die letzten davon getrocknet haben.
Gerd Holl hat ein gut bestelltes Feld übernommen. Die zehrenden Umstrukturierungen mit Entlassungen und Werksschließungen in den Jahren 2006/2007 sind weitestgehend verdaut, das Markenangebot scheint gut aufgestellt. Einerseits eine strahlende AEG, die in der Verbrauchergunst bestens dasteht und der man sich im Kontakt mit dem Fachhandel mit voller Aufmerksamkeit widmen kann, andererseits eine Auswahl an taktischen Marken, mit der die Partner in der Küchenmöbelindustrie ihre Vertriebsideen ausleben können. Rund 75% des aktuellen Umsatzes gehen auf das AEG-Konto, 25% bleiben für die taktischen Marken Leonard, Progress und Zanker. Hinzu kommt neu Juno. Der Klassiker und einstige Fachhandelsmarke ist nun exklusiv bei Schüller gelistet. In zwei Designlinien kommen ab März 66 Geräte auf den Markt. Zanussi rundet das Marken-Portfolio ab. Mit 1,2% Umsatzanteil innerhalb des Electrolux-Verbundes ist der Einfluss der italienischen Marke aber übersichtlich. Gänzlich Geschichte hierzulande ist vorerst der Auftritt von Electrolux als Fachhandelsmarke. Auf 10 Millionen Euro Umsatz habe man mit diesem Schlussstrich verzichtet, sagt Gerd Holl. Zu verantworten hat er diese strategische Entscheidung zwar nicht, die fiel schließlich in die Amtszeit seines Vorgängers, er scheint aber sehr gut damit leben zu können. Die Vorteile, die eine Konzentration auf die Marke AEG mit sich bringen, dürfte den Umsatzausfall erträglich gestalten. Der künftige Schüller-Scheck aus Herrieden unter dem Buchungsstichwort „Juno“ auch.

Den digitalen Wandel gestalten
Vor seinem Engagement in Nürnberg war Gerd Holl 18 Jahre für den Elektronikkonzern Toshiba tätig. In diversen Positionen begleitete und gestaltet er die Digitalisierung der Unterhaltungselektronik. Eine Entwicklung, die in der Hausgerätebranche gerade erst richtig beginnt – bezogen auf interne Prozesse, Kundenservice, Produkte sowie die Umsetzung im Handel. Innovativen Vernetzungsideen steht der 46-Jährige offen gegenüber, er weiß aber auch, dass noch viel an der Akzeptanz gearbeitet werden muss. Und an der Kommunikation mit Endkunden und Handel. „Was hat der Kunde für Vorteile von vernetzbaren Geräten - über die Bedienung von Hausgeräten via Smartphone- und Tablet-App hinaus?“ Diese Frage zu formulieren und den Kunden Antworten nahe zu bringen, sei eine dringende aktuelle Aufgabe.
Mit der Präsentation vernetzbarer Geräte in Serienreife hält sich AEG noch zurück. Auch zur IFA 2015 sei nichts geplant. Dennoch wird das Thema „Digitalisierung“ auf vielen Ebenen intensiv bearbeitet. Gerd Holl betont: „Der Handel erlebt derzeit große Veränderungen durch das Internet und mobile Endgeräte. Konsumenten können sich heute zu jeder Zeit und an jedem Ort über Geräte informieren, günstige Angebote recherchieren und einkaufen. Für den Handel bringt dies neue Herausforderungen mit sich, aber auch große Chancen. Wir möchten unsere Partner dabei unterstützen, das traditionelle Geschäft und die neuen Kanäle des E-Commerce erfolgreich zu verbinden und sich im Omnichannel-Handel zu behaupten.“
Dazu hat Electrolux rund um seine Marke AEG ein umfangreiches Maßnahmenpaket entwickelt. Dieses umfasst neben einem speziell auf den Omnichannel-Handel zugeschnittenen Produktangebot auch eine zielgruppengerechte Ansprache und Aufbereitung von Inhalten. So sollen verschiedene Tools das Portfolio visuell ansprechend präsentieren, von Bildern bis hin zu Produktvideos. Auch Apps und die Verknüpfung mit Social-Media-Kanälen unterstützen künftig die Strategie, Endverbraucher über verschiedenste Kontaktpunkte zu erreichen. Zudem sollen die internen Prozesse, etwa hinsichtlich Logistik, Marketing und Produktangebot, weiter optimiert werden. „Der Omnichannel-Handel bietet die Chance auf steigende Absätze sowie eine größere Markenbekanntheit und -treue. Diese möchten wir gemeinsam mit unseren Handelspartnern nutzen, denn davon profitieren beide Seiten”, fasst Gerd Holl zusammen.

Umsatzbringer konzentriert
Auf Produktseite konzentriert sich das Unternehmen aktuell auf die Themengebiete „Geschmack“ und „Pflege“. Mit besonderer Aufmerksamkeit für die Umsatzbringer im Sortiment. „Starprodukte“ nennt sich die Schar, die in den nächsten Monaten besonders gepusht werden soll – im Vertrieb und im Marketing. In der Rubrik „Geschmack“ setzt AEG dabei vor allem auf Multidampfgaren und Sous-vide sowie auf flexible Induktion. Neuigkeiten sind zudem von den Geschirrspülern zu erwarten, denn hier habe man mit Blick auf die Marktanteile von „deutlich unter 10%“ noch Entwicklungspotenzial. Die übrigen Sortimentsbereiche kommen laut Unternehmen auf durchschnittlich 12% Marktanteil.
Um die Vorteile der genannten Küchen-Techniken praktisch erfahrbar zu machen, soll verstärkt in das Instrument „AEG-Kochzeit“ investiert werden. Mit diesen Kochveranstaltungen im Handel lassen sich zögerliche Kunden an die Produkte heranführen und bestehende Kunden erlebnisorientiert an die Marke binden. Das dürfte im Küchenfachhandel auch die aktuell 1650 Preference-Partner freuen. Das Fachhandelskonzept basiert auf selektive Sortimentsauswahl und speziell zugeschnittene Serviceangebote. Vergleichbare Angebote gibt es weiterhin für den Elektrofachhandel (Exclusiv) und den Elektrogroßhandel (Carat).

Direkt zum Kunden
Dass man mit guten Produkten und einem kreativen Marketing allenfalls die halbe Strecke auf dem Weg zu einer erfolgreichen Hausgerätemarke zurückgelegt hat, weiß man in Nürnberg nur allzu gut. Diverse Urkunden und Auszeichnungen zeugen von der traditionell hohen Service-Qualität. Diese soll weiter gepflegt werden. Besonders im direkten Kontakt mit den Nutzern der Geräte will AEG neue Wege gehen. Denn der Markt ist im Umbruch. „Die Macht wandert zunehmend zum Endkunden“, betont Gerd Holl und berichtet von diversen Ideen, wie AEG diesen Wandel erfolgreich bewältigen und gestalten will. Manche stehen geradewegs vor der Umsetzung wie die Förderung von Kundenempfehlungen und Produktbewertungen bei Amazon und Google, andere sind mittelfristig angelegt wie die Digitalisierung von Kundendienstelementen im Rahmen des „Smart Home“. Wiederum andere können sicher immer mal wieder eingeflochten werden: Beim Geräteschleppen im Außendienst. Dirk Biermann

www.aeg.de



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