21.10.2015

Erst die IFA, dann die Küchenmeile. Das bietet ordentlich Stoff fürs aktuelle Geschäft. Die wichtigsten Themen im Schnelldurchlauf – zur Abwechslung nicht von „A bis Z“ sondern subjektiv nach Relevanz sortiert. Von Dirk Biermann

nobilia ist bei der Geräteauswahl noch vielfältiger geworden – und präsentiert dies in der aktuellen Ausstellung über mehrere Meter Breite auf einer Videoleinwand. Foto: Biermann

tielsa geht beim Thema „Vernetzte Küche“ voran. Als einziger Küchenmöbelhersteller überhaupt. Foto: Biermann

Hat „LeMans“-Potenzial: der neue „iMove“ von Kesseböhmer. Foto: Biermann

Zielgruppenansprache. „Einsteiger“, „Familie“, „Ü irgendwas“ – Viele Jahre folgte die Gruppierung der Interessenten diesem bewährten Muster. Doch der Kunde von heute lässt sich nur noch ungern in solche verstaubten Schubladen stecken, sondern will feinfühliger angesprochen werden. Alter und Familienstand haben als ausschließliche Kriterien ausgedient, stattdessen geht es um konkrete Lebensstile und daraus resultierende Bedürfnisse. Das macht den Küchenverkauf nicht unbedingt einfacher, aber unter Umständen gewinnbringender. Insbesondere Sachsenküchen und Schüller haben mit ihren aktuellen Ausstellungen direkt umsetzbare Beispiele für die Ausstellungsgestaltung präsentiert. Bei nobilia ist das ebenfalls Strategie.

Vernetzte Küche (1). Was ein Unterschied! Auf der IFA gab es gefühlt nichts anderes als die Vernetzung, und auf der Küchenmeile konnte man sich die Hacken wund laufen, bis man zu diesem Thema fündig wurde. Unter den Küchenmöbelherstellern widmet sich allein tielsa der Vernetzung. Aber das so konsequent, dass der Vorsprung zu den Branchenkollegen jetzt schon immens ist. tielsa bietet eine lieferfähige vernetzte Küche, die weit über die Integration einzelner Geräte mit WLAN-Modul hinausgeht. Die „Connected Kitchen by tielsa“ bündelt nutzenorientierte Wohn-, Komfort- und Sicherheitsthemen und transferiert die Zentrale dafür in der Küche. Und zuhören kann sie auch noch.

Vernetzte Küche (2). Grundsätzlich betrachtet prägen Einzelaktivitäten und Wildwuchs das Thema. Die Gerätehersteller sind zwar technisch extrem weit – bis hin zu Live-Bildern aus Kühlschränken und Dampfgarern –, doch was weiterhin fehlt, sind die wirklich überzeugenden Nutzenargumente in der Breite. Zudem ist ein einheitlicher technischer Standard nach wie vor nicht in Sicht. Das erschwert die Akzeptanz beim Kunden. Jedenfalls bei der großen Masse der Küchenkäufer, die nicht bereit sein dürften, für ein neues vernetzungsfähiges Hausgerät vor dem Küchenstudio zu campieren.

tutto completo. „Komplettvermarktung“ – es soll manchen in der Branche geben, der die Vokabel nicht mehr hören kann. Dennoch rangiert sie in der Hitliste der Messethemen recht weit oben. Und das nicht allein, weil Premiumausstatter Miele mit nobilia und Häcker zwei neue Großkunden begrüßen durfte. Fast noch interessanter ist die Nachricht, dass Branchenführer nobilia nicht mehr allein Möbel und Geräte zentral verrechnen mag, sondern künftig auch eine Menge an Zubehör. Die Küche als einheitliches System mit allem Pipapo, das – aus nobilias Sicht – am besten zentral besichtigt, geordert, produziert, zusammengestellt, geliefert und montiert wird. Das sind Ambitionen, die den klassischen Zubehörhandel aufhorchen lassen. Andererseits: Die Nabers, Vogts und Sedias haben ihre ganz eigenen Stärken und profilieren sich mit immer neuen Ideen – und gewachsenen logistischen Qualitäten. Für die Aufwertung der vielen praktischen Zubehörideen gibt es von dieser Stelle jedenfalls ordentlich Applaus.

Spülen mit Stil. Eine der gängigen Formulierungsfloskeln platziert die Küchenspüle gern an das Ende einer imaginären Nahrungskette bei der Küchenplanung. Was so viel heißen soll wie: Es geht ums Dekor, ums Dekor, ums Dekor. Dann kommt lange nichts, dann das Gerät, dann wird auf den allerletzten Metern noch was zur Spüle gemacht. Muss ja. Ganz sicher steht die Küchenspüle nicht im Zentrum der Küchenplanung – obwohl, verdient hätte sie es langsam mal. Nicht nur, weil hier so viel gearbeitet wird. Auch, weil die Spülen mit ihren trendig großen Becken immer schicker werden. Und die Armaturen stehen ihnen kaum was nach. Auch die mit Feder. Eins ist sicher: Wer es darauf anlegt, kann mit dem Spülcenter konkrete Design-Highlights schaffen.

Beton. Kommen wir zu den Dekoren der nächsten Saison. Beton und andere Steine sind begehrt. „Das Thema wird uns bestimmt die nächsten drei, vier Jahre begleiten“, sind sich die Trendsetter der Branche einig. Im Premium wird für den gespachtelten Echtbeton die Preisgruppenskala gern schon mal nach oben ergänzt, für die breitere Masse gibt es verblüffend echt wirkende Nachbildungen in unterschiedlichen Tönen und Dekoren. Auch Küchenmöbelhersteller mit Premiumambitionen setzen hier bewusst auf eine große Bandbreite. Von wegen der zusätzlichen Umsatzquellen. Einer der großen Vorteile der Betonoptik: Zusammen mit Weiß, hellen Hölzern und dezent eingesetzter Farbe lassen sich frische Planungen im angesagten skandinavischen Design realisieren.

Holzdekore. Es gehört zu den Ungerechtigkeiten dieser Welt, dass manche innovative Entwicklungen viel zu schnell in Vergessenheit geraten. Oder zumindest nicht mehr angemessen gewürdigt werden. Das war bei der „Einzugsdämpfung“ vor einigen Jahren so, und droht sich jetzt bei den Holznachbildungen fortzusetzen. Es scheint, als hätten wir die authentische Qualität dieser Dekore schon so häufig gelobt, dass wir sie inzwischen als gegeben voraussetzen. Und doch gab es auch zu dieser Küchenmeile wieder Präsentationen mit Aha-Effekt. Wie zum Beispiel das „Artwood“-Sortiment von Nolte, für das der Küchenmöbelhersteller eng mit der „Gruppo Mauro Saviola“ zusammenarbeitet. Über weitere Beispiele berichten wir an mehreren Stellen in dieser Ausgabe. Herstellerübergreifend gilt: Die Qualität der Holznachbildungen ist ein ganz wichtiger Aspekt, um wohnliche Planungen quer durch alle Programme und Preisgruppen zu realisieren. Stilvoll kombiniert, versteht sich.

Umfeld. Apropos Wohnlichkeit: Regale und Wangen in unterschiedlichen Stärken – von 6,5 bis 50 mm – sind weitere Zutaten, um die aktuell so beliebten Übergänge beim „offenen Wohnen“ zu realisieren.

Farbe. Rot, Blau und Gelb gibt es natürlich weiterhin, aber darüber hinaus alle Farben des Regenbogens. Und das wenn möglich stets mit einem leicht gräulichen Unterton. Überhaupt: (Dunkel-)Grau ist das neue Schwarz und kann mit allem kombiniert werden. Darüber hinaus setzen metallische Töne wie Kupfer oder Zinn Akzente. Wer es noch individueller schätzt, wählt sich seinen Ton aus Tausenden von Sonderfarben. Immer mehr Küchenmöbelhersteller werben mit ihrer Kompetenz auf diesem Gebiet.

Weiß.
Das wichtigste Dekorthema in der Küche ist schnell beschrieben: Es wird wieder neutralweißer. Das blaustichige bzw. magnolienhafte Weiß ist klar auf dem Rückzug.

Buche. Wer gerade erst den 90er-Chic entsorgt hat, muss jetzt tapfer sein. „Eiche“ bleibt zwar das Holz der Wahl, aber hier und da schleichen sich die ersten Buchen in die Sortimente. Die gute Nachricht: Aber das glücklicherweise in einer sehr modernen, hellen und frischen Umsetzung. Geradezu skandinavisch. Puuuh!

Korpusqualität. Extradicke und in die Seitenteile eingelassene Rückwände, besonders stabile Querböden – manchmal fragt man sich, wie ein Schrankkorpus in „Tischlerqualität“ überhaupt noch kaputt zu kriegen ist. Damit geplante Küchen dürften auf jeden Fall deutlich länger halten, als es die statistische Küchenlebensdauer vorsieht. Doch gerade für mittelgroße Küchenmöbelhersteller wird das Argument „Qualität“ immer wichtiger. Mit der Extraportion „mehr“ will man sich von den großen Wettbewerbern abheben. Aktuell haben zum Beispiel Rotpunkt und Sachsenküchen die Korpusqualität zur Strategie erklärt. Ballerina geht mit dem „Ultimativen Korpus“ bekanntlich schon länger diesen Weg.

Lacklaminat. Ein Thema mit Brisanz. Die Mengenhersteller setzen im großen Stil darauf, einige andere versuchen sich gerade durch den Verzicht auf die umbenannte Möbelfolie zu positionieren. Wer sie hat, hat sie jetzt auch in matt.

Fettfingerfrei. Einer der alltagspraktischsten Oberflächentrends schlechthin: Fronten, auf denen Fettfinger keine oder kaum noch Spuren hinterlassen.

Metall. Kupfer ist im Wohnbereich ein gern gesehener Gast. Stilvoll umgesetzt im Premium, oft ein wenig billig wirkend in den „Rolls-raus-Abholmärkten“. In der Küche kommt das Thema in Nuancen zum Zuge. Am häufigsten punktuell eingesetzt als Griff, mal auch an der Front. Mit Bronze, Silber und Gold wird auch experimentiert.

Außen hui. . . . innen hui, hui, hui. Wer hätte gedacht, dass sich die Küchenmöbelhersteller mal so sehr über ihre inneren Werte definieren. An zahlreichen Stellen wurden zur Küchenmeile neue Systeme für eine flexible Organisation von Auszügen, Schränken und Nischen präsentiert. Eins schicker als das andere. Was für die Innenoptik der Schränke generell gilt. Das Innendekor brilliert wahlweise im Design des Außendekors – oder zeitgemäß in Grau / Anthrazit. Auch die Apotheker- und sonstigen Auszüge passen sich dem an und glänzen nicht mehr ausschließlich in Chrom.

Ross und Reiter. Als das österreichische Unternehmen Grass vor einigen Jahren zur großen Markenkampagne aufrief und Küchenmöbelhersteller davon zu überzeugen versuchte, die Qualitäten ihres Zulieferers strategisch zu nutzen, war das Ergebnis ernüchternd. „Grass inside“? Das war im Möbel o.k., ging dem Marketing hierzulande dann aber doch zu weit. Einige Jahre später scheint die Grass-Vision einer „Markenkooperation mit Mehrwert“ doch noch zu wurzeln. Küchenmöbelhersteller werben offensiv mit ihren Auszugslieferanten und nennen selbstbewusst Ross und Reiter – von Grass über Blum und Hettich bis Kesseböhmer, Salice, Ninka und Vauth-Sagel. Vorerst zwar „nur“ in Fachkreisen, aber wer weiß, wo die neue Offenheit noch so hinführt. Wir sind gespannt. Vor der Grass-Initiative war schon das aktuelle Präsentationsszenario kaum denkbar. Es ist wirklich wahr: Vor etwa fünf Jahren wurde eine Auszugsneuheit von einem hochwertigen Küchenmöbelhersteller aus der „Weltstadt der Küchen“ als eigene Entwicklung gefeiert. Selbst der Hinweis, dass man als Fachjournalist ziemlich genau wisse, dass die Auszugstechnik zugeliefert wird, konnte die damaligen Gesprächspartner, eine externe Medienagentur, nicht von ihrer selbstbeweihräuchernden Argumentation abbringen.

Wie einst. Vor zehn Jahren begann die Karriere des Eckschrankschwenkbeschlags „LeMans“ von Kesseböhmer. Auf der ZOW 2005. Selbst Endkunden ist dieser Produktname inzwischen geläufig, wie Einträge in den gängigen Internetforen beweisen. Das soll was heißen. Mit dem „iMove“ erobert nun eine weitere Kesseböhmer-Neuheit die Ausstellungen. Diesmal für den Hängeschrank. Die Möglichkeit, Staugüter von den oberen Ebenen in einer fließenden Bewegung auf Griffhöhe zu verschwenken, hat zweifelfrei Charme. Um diesen Nutzen zu schätzen, braucht es noch nicht mal eine krankheits- oder altersbedingte Bewegungseinschränkung. Die Idee des „iMove“ ist nicht ganz neu, aber die Zeit scheint reif zu sein dafür. Unser Fazit: Das hat „LeMans“-Potenzial.

Mit Licht gestalten. Nicht jede Erfindung ist ein großer Wurf. Die Entwicklung der LED schon. Viel Licht, wenig Wärme, kaum Aufbauhöhe – was will man mehr. „Mit Licht gestalten“ wird zunehmend zur Planungskompetenz, die helfen kann, sich als Gestalter von Küchen-Wohn-Räumen zu empfehlen. Aktuell geht der Trend klar Richtung Flächen-LEDs und zu Varianten mit einstellbarer Lichtfarbe. Wen wundert’s – natürlich auf Wunsch auch via Smartphone-App.

Kernkompetenz. Bei dem Hype um die Vernetzung stand das Thema „Energieeffizienz“ auf der IFA fast ein bisschen im Abseits. Dabei fanden auf diesem Gebiet in den letzten Jahren besonders erwähnenswerte Innovationen statt. Und es geht weiter: Der Stromhunger zahlreicher Geräte wurde erneut gesenkt. Es scheint jedoch, als entwickele sich die Einstufung in eine der oberen Energie-Effizienzklassen zu einer Art Kernkompetenz, die vorausgesetzt und wohlwollend zur Kenntnis genommen wird – aber ohne sie explizit zu betonen. Solche hochkarätigen Verkaufsargumente sollten nicht vernachlässigt werden.

Sensorgestütztes Kochen. Noch so ein technisch anspruchsvolles und nutzenorientiertes Thema, das im W-LAN-Rauschen der IFA etwas zu sehr an den Rand gedrängt wurde. Neue Sensoren in Backöfen und Kochfeldern erweisen sich als hilfreich für alle, die es lieben, beim Kochen und Backen von der Technik unterstützt zu werden. Bei Bosch gab es das jetzt ganz neu zu begutachten und bei Miele auch. AEG forciert das schon länger, und Panasonic hat das temperaturgesteuerte Kochen gar zum Alleinstellungsmerkmal erkoren – weil der Wettbewerb seine Kochfeldsensoren in Temperaturbereichen arbeiten lässt, so heißt es, und nicht auf das Grad genau.

Muldenlüftungen. Wer 2016 als Dunstabzug etwas auf sich hält, macht sich mit der Technik rar. Die „unsichtbare Haube“ ist Trend. Im höherwertigen Segment der Küchenplanung wird nach ganz oben oder nach unten abgesaugt. Deckenmodule gewinnen weiter an Einfluss, ganz besonders aber Muldenlüftungen. Mit seinen Kochfeld-Abzug-Kombinationen hat Bora dieser Spielart des Dunstabzugs vor einigen Jahren neues Leben eingehaucht, nun folgen zahlreiche Hersteller, die auch etwas vom Umsatzkuchen abhaben wollen. Dabei ist die  Idee der Muldenlüftung wohlwollend als „bewährt“ zu bezeichnen. Eine neue Entwicklung, wie es zum Beispiel Bora gern etwas vollmundig herausstellt, ist es in Gänze jedenfalls nicht. „Erfunden“ wurde die Muldenlüftung bereits 1965 vom amerikanischen Unternehmen Jenn-Air. Als Lizenznehmer soll Gaggenau diese Technik dann 1974 nach Europa gebracht haben.

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