16.12.2015

Gestern noch schien man ohne offene Wohnküche eine verkrachte Existenz zu sein, morgen leben wir allesamt wie die Bienen in urbanen Wohnwaben, die alles bieten, bloß keinen Platz. Wer der kommunikativen Selbstdarstellung „der Küchenbranche“ folgt, sollte flexibel bleiben.

Die Sau von heute ist ein armes Schwein. Das liegt an der industriellen Fleischproduktion mit ihren zweifelhaften Methoden. Aber auch die medialen Artgenossen stehen kurz vorm Burnout, denn die fotografische Inszenierung der Traumküche für Werbezwecke zeigt sich ähnlich wechselhaft und von latentem Größenwahn geprägt wie die Stimmungslage einer pubertierenden 14-Jährigen an schlechten Tagen. Mit so grundverschiedenen Botschaften, dass man sich unwillkürlich fragt, was das alles noch mit der Realität zu tun hat, ob es das eigentlich soll – und überhaupt: Welche Sau wird denn jetzt wieder durchs Dorf getrieben?

Im großen Stil
Egal wohin das interessierte Auge schweift: Kücheninseln prägen das Bild. Und das im ganz großen Stil: in den Themen-Beilagen der Tageszeitungen, in Magazinen und Broschüren, selbst in den Rabattprospekten der Großfläche – gleich ob gedruckt oder digital. Und Räume groß wie Bahnhofshallen. Sicher, der offen gestaltete Grundriss mit ineinander übergehenden Wohn- und Lebensbereichen wird in Neubauten geschätzt, aber selbst dort dürfte die gänzlich frei stehende Koch- oder Vorbereitungsinsel eher die Ausnahme sein. Allein schon aus Budgetgründen. Man kann interessierten Kunden eine Menge zumuten. Aber es scheint gewagt, Produkte so gut wie ausschließlich in einer Umgebung darzustellen, die mit der Lebenswirklichkeit derer, die sich davon begeistern lassen sollen, in etwa so viel zu tun haben wie Gernot Hassknecht und eine Entspannungsmassage.
Und nun die urbanen Lebenswelten. Landlust ist hip, aber ausgelebt werden soll diese bitte schön in der Stadt. Wenn es nach den gebetsmühlenhaft vorgetragenen und millionenfach nachgeplapperten Trendaussagen geht, leben überhaupt alle Menschen in Kürze nur noch städtisch. Dort wird es entsprechend eng. Weil man Küchenzeilen mit optimiertem Stauraumangebot in der 6-qm-Wohnhöhle aber nicht gut fotografieren kann, zaubert das Marketing für seine Zwecke das 200-qm-Altbauloft als Wohnform der Zukunft aus dem Hut – wahlweise mit Aussicht auf die Skyline von New York oder einem karibischen Palmenidyll. Ein bisschen darf man froh sein, dass auf solchen „Ambiente-Fotos“ nicht gleich die Badewanne neben dem Dampfgarer dekoriert ist. „Spa“ wird schließlich auch immer wohnlicher.

Erst ein Anfang
„Grau ist alle Theorie – entscheidend is’ auf’m Platz“. Diese Weisheit stammt zur Abwechslung mal nicht von TV-Doktor Eckart von Hirschhausen, sondern von Alfred „Adi“ Preißler, in den 1950er- und 1960er-Jahren Fußballheld in Duisburg, Dortmund und Oberhausen. Übersetzt heißt das: Es gibt diese Kunden, für die sind Raumangebot und Geld relativ. Für diese Zielgruppe braucht es selbstverständlich eine angemessene Werbeansprache. Man sollte aber nicht zwingend aus jeder kleinen Küche eine große Sache machen. Es kann doch nicht sein, dass nur Ikea weiß, wie man Küchenräume unterschiedlicher Größe lebendig werden lässt. Dass zuletzt einige Messe-Präsentationen in diese Richtung zielten, weist den Weg, ist aber erst ein Anfang.

Küchen mit schicken Materialien für Front und Platte, hochwertigem Innenleben, praktischen Nischenlösungen sowie Geräte und Spülcenter, die zum Arbeiten ebenso einladen wie zum Bestaunen, und das realitätsnah umgesetzt als Zeile, U oder L, in separaten Küchenräumen, vielleicht mal unter dem Dach und gerne auch mit „Halbinsel“ und Regalen – das spräche die Menschen direkter und sehr viel emotionaler an als viele dieser überkandidelten Werbefotos.

Dirk Biermann



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