Was die Küchenwelt bewegt
Muldenlüfter sind eine interessante Ausstattungsoption mit einem Lifestyle-Flair, das Küchenkäufer magisch anzuziehen scheint. Dass inzwischen durchweg alle Spezialisten und die führenden Vollsortimenter Ideen dazu beisteuern, befeuert das Thema erheblich. Allerdings treibt der Hype um den Dunstabzug nach unten mitunter eigenartige Blüten. Die Technik unter der Glaskeramik kommt beim Erstkontakt meist zu kurz – und damit die eingehende Prüfung von Aspekten wie Materialqualität und Reinigungsfreundlichkeit. Zudem bleibt allzu oft außen vor, dass es sich bei dieser Art der Wrasenlenkung um ein anspruchsvolles Thema der Küchenplanung handelt. Denn Kochwrasen, die in einen Schrank geleitet werden, sollten auch wieder hinauseskortiert werden. Holz und Holzwerkstoffe reagieren auf Feuchtigkeit schließlich recht eigenwillig.
Dass nach Einschätzung eines Brancheninsiders derzeit wohl in 80 % der Fälle die Kochabluft kurzweg in den Schrank gepustet wird, lässt die Brisanz erahnen, die das Thema für die Fachwelt bereithalten könnte. Zumal: Selbst wenn die Wrasen durch den platzsparend montierten Flachkanal korrekt abwärts strömen, fragt sich im Falle der Umluftlösung: Wohin soll der Luftstrom gelenkt werden, wenn er hinter dem Sockelgitter in den Küchenraum entlassen wird? Dem Koch und der Köchin vor die Füße? Oder im Falle einer Inselplanung in Richtung des Ess-Tisches? Das ist alles nicht ganz optimal. So wird die Planung einer Muldenlüftung zum Kompetenzfeld für den Fachhandel – mal eben montieren und „nach mir die Sintflut“ scheint jedenfalls eine gewagte Strategie zu sein.
Dass die Spezialisten unter den Haubenanbietern mit ihren Neuheiten auffällig häufig an die Decke gehen – oder ganz flach in den Oberschrank – macht zudem deutlich, dass die Muldenlüftung kein Goldstandard für sämtliche Planungssituationen sein kann. Überall dort, wo zum Beispiel intensiv gekocht wird (also große Mengen an Kochwrasen entstehen), kann der Abzug nach unten schneller an seine Grenzen gelangen als andere Systeme.
Nur zur Hälfte korrekt
Nach jeder Messe stellt sich die Frage nach den Trends für die kommende Saison. Der größte Trend ist nach wie vor, dass es keinen gibt. Jedenfalls ist keine einheitliche Richtung auszumachen, in die die gesamte Küche steuert. Und das liegt nicht allein am allgegenwärtigen Drang zur Individualität.
Es gibt zwar wahrnehmbare Überschneidungen in der Optik (Beton, markantes Holz, Industrielook) und andere Allgemeingültigkeiten (Betonung von Licht, Aufwertung des Schrank-Innenlebens, Regal-Planungen), doch wie genau dies umgesetzt wird, bestimmt mehr denn je das jeweilige Marktsegment und damit die Preisgestaltung. Der reine Küchenverkauf hat andere Gesetze als eine Küchenplanung, die Räume für Menschen in den Fokus nimmt und sich nicht länger um traditionell gelernte Raumgrenzen schert. Generell zu sagen, natürliche und hochwertige Materialien wie Beton, Stein und Glas seien Trend im Küchenjahr 2017, wäre allenfalls zur Hälfte korrekt.
Konzepte zählen
Für Marktregionen, die für Küchenspezialisten interessant sind, gilt: Eine stimmige Küche speist sich im optimalen Fall aus der Umsetzung eines Konzepts für Menschen in klar definierten Lebenslagen. Nach dieser Leitidee konzipierten in diesem Herbst auch einige Küchenmöbelhersteller ihre Hausmessen. Wenngleich unterschiedlich intensiv und konsequent.
Weitestgehend ausgedient bei der Zielgruppen-Definition hat offenbar der Aspekt Alter. „Ü50“ ist einfach keine kluge Beschreibung für eine auf Komfort und Qualität ausgerichtete Küche, wenn der Kunde auf der anderen Seite des Besprechungstisches zwar laut Personalausweis zu den sogenannten „Silver Surfern“ zählt, er sich aber nach eigenem Empfinden keinen Tag älter fühlt als 39. Und kleine Küchen richten sich heutzutage nicht mehr nur Studenten mit schmalen Budgets ein. Oder alleinlebende Frauen und Wochenend-Pendler. Früher gab es für diese konkreten Küchenkäufer die Kategorie „Single-Küche“ – mit einer relativ klar definierten gängigen Ausstattung. Die Bedürfnisse und wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Zielgruppen unterscheiden sich jedoch immens. Das wirkt sich auf die Umsetzung aus. Eine „Single“-Küche in Luxus-Ausstattung ist längst keine Seltenheit mehr. Dafür braucht es erst eine Idee, dann die Produkte.
So stellt sich ganz grundsätzlich die Frage: Welche Ansprache erreicht Herz und Hirn des Kücheninteressierten in seiner konkreten Lebenssituation? Gute Geschichten wollen erzählt, inszeniert und authentisch gelebt werden. Wer sich allein über schöne Möbel und zuverlässige Technik definiert, macht sich austauschbar – und setzt sich vor allem dem schonungslosen Preisvergleich aus. Und billiger, so steht es im Buch der Besserwisserei auf Seite eins, kann immer wer.
Optik wird unabhängig vom Preis
Kunden dort abzuholen, wo sie mit ihren Wünschen und Budgets gerade stehen, ist im Grunde eine Kernkompetenz für den versierten Fachhandel. Nun stellt die Industrie verstärkt eine Bandbreite an Optionen zur Verfügung, um Kundenwunsch und Kundenbudget noch geschmeidiger in Einklang zu bringen. So beinhalten die Programme zunehmend identische Optiken in echter Ausführung und als Nachbildung. „Der Designwunsch ist nicht länger eine Frage des Preises“, sagt zum Beispiel Nolte Küchen dazu. Das Unternehmen hat die Planungsflexibilität in diesem Jahr zur Strategie erklärt und setzt dies mit den gängigen Materialien Holz, Beton und Glas um. Andere Küchenmöbelhersteller haben ähnliche Angebote im Programm.
Voraussetzungen dafür sind natürlich Material-Nachbildungen, die in Optik und Haptik ganz nah ans Original heranreichen. Bestes Beispiel: Holzdekore mit Synchronpore. Diese Oberflächen gehen immer häufiger für echt durch, ohne dass noch irgendwer mit der Wimper zuckt. Und selbst manche Beton-Nachbildung fühlt sich an wie von Hand gespachtelt. Zwar wähnte man die Oberflächen-Lieferanten schon vor ein, zwei Jahren am Ende ihrer Kunst und mutmaßte, dass nun keine wirklich spür- und sichtbaren Entwicklungen mehr möglich sein können, doch diese Küchenmeile zeigte erneut das Gegenteil.
Wenn matt, dann supermatt
Bei den großen Mengenthemen geben Beton-Nachbildungen den Ton an. Auf der Front und als Arbeitsplatte. Vor allem im Preiseinstieg geht wenig an matt-schwarzem Lacklaminat vorbei. Pardon: supermatt. Denn Uni-Fronten lieben das Extreme: Wenn matt, dann supermatt; wenn Glanz, dann Hochglanz. Im Preiseinstieg haben auch die auffällig intensiven Farben ihre bevorzugte Heimat. Meist kombiniert mit den Küchendauerbrenner-Optiken Grau und Weiß. Auch Holz und Weiß werden gern gemixt.
Akzente setzen
Kombinieren und Akzente setzen wird immer mehr zum Kernanliegen der individuellen Küchengestaltung. Mit Beton, Holz und weißen/grauen Oberflächen sind die Hauptakteure dafür schnell identifiziert. „Hirnholz“ ist bei den Holz-Nachbildungen eines der großen Modedesigns der Saison.
Allgegenwärtig ist der „Indusrial Style“, der geradewegs von der Mailänder EuroCucina aus nach Ostwestfalen gewechselt zu sein scheint. In den höheren Preisgruppen kommen dabei zusätzlich Oberflächen in Stein, Metall, Keramik und Original-Beton zum Einsatz. Die Farben sind gedeckt und dunkel. Schwarz, Dunkelbraun und Dunkelblau schaffen die Basis für elegante Umsetzungen. Gern auch im modernen Landhauslook. Hinzu kommen immer markantere Hölzer. Regale nehmen den „Industry Style“ auf und tragen ihn von der Küche in die Ess-Ecke und die Wohnräume.
Neue Geschäftsfelder entstehen
Wobei an dieser Stelle erneut der Aspekt „Konzept“ ins Rampenlicht tritt. Wenn die Regal-Planung in der Küche Kaffeetassen und Küchentellern Heimat bietet und einige Meter weiter in Form einer stilvollen Bücherwand glänzt, dann ist das nicht unbedingt Zufall, sondern kann Ausdruck einer Strategie sein. Das Zusammenwachsen der Lebensräume bietet Einrichtungsexperten neue Geschäftsfelder.
Immer dabei: das Prinzip Wohnlichkeit. Je offener der Grundriss, umso mehr kommt dieser Ansatz zum Tragen. Dann dominieren geschlossene Flächen und grifflose Designs. Aber immer wieder aufgebrochen zum Beispiel von Regalen und Vitrinenschränken.
Im Stil der 60er
Der derzeit so beliebte „Industrial Style“ setzt nicht allein auf das gängige Industriedesign mit dem Flair des Unvollkommenen. Sehr begehrt sind auch Materialien und Gestaltungsprinzipien aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Die Front in der Optik eines Frühstücksbrettchens, die Nische in der Kacheloptik einer Pariser Metrostation und Glas in Wabenstruktur für Oberschränke setzen dies sehr direkt um.
Haptisch auffällige Oberflächen und industriegeprägtes Design haben wohl auch deshalb gerade Konjunktur, weil sie einen sinnlichen Kontrapunkt zu unserem Alltag mit seinen vielen glatten Display-Flächen setzen.
Durchgängig schick
Bleibt der Blick hinter die Front. Hier dominiert inzwischen auf breiter Basis das „Innen-wie-Außen“-Prinzip. Selbst Beschläge werden optisch auf den Innenkorpus abgestimmt. Auszüge lassen sich die Küchenmöbelhersteller von ihren Lieferanten exklusiv gestalten. Bewegliche Tablare für Kaffeevollautomaten und Küchenmaschinen schaffen zusätzlichen Komfort. Individualität und kundenspezifische Lösungen, so viel steht fest, haben den Weg in den Schrank gefunden und scheinen sich dort pudelwohl zu fühlen.
Aus OWL und Berlin
Auf den folgenden Seiten gehen wir detaillierter auf das ein, was die Küchenwelt derzeit bewegt. Wir erzählen, was sich vor und hinter den Kulissen der Küchenmeile zugetragen hat, und beleuchten die Neuheiten und Neuigkeiten der Gerätehersteller und Zubehöranbieter von den Messen in Ostwestfalen und Berlin.
Dirk Biermann
www.kuechenplaner-magazin.de