22.12.2017

Boom mit angezogener Handbremse

Der Markt für Smart-Home-Anwendungen wächst. Auch in Deutschland. Doch andere Länder sind oft schon viel weiter. Denn hierzulande bremst die mangelnde technische Kooperationsbereitschaft der Anbieter eine schnellere Marktdurchdringung. Ebenso die Angst der Nutzer vor dem Verlust der Privatsphäre.

Das vernetzte Haus umfasst viele Lebensbereiche. Die vernetzte Küche gehört dazu. Grafik: eco

Prognose: Bis 2022 wird der Smart-Home-Markt in Deutschland auf ein Umsatzvolumen von 4,3 Mrd. Euro wachsen. Grafik: eco

Der Verband für Internetwirtschaft (eco) und die Unternehmensberatung Arthur D. Little GmbH sprechen sogar von einem Smart-Home-Boom mit überdurchschnittlichen Wachstumsjahren. In den nächsten fünf Jahren, also bis 2022, soll der inländische Markt auf ein Umsatzvolumen von 4,3 Mrd. Euro anwachsen. Das seien mehr als 25 Prozent Steigerung pro Jahr. Diese Zahlen gehen aus einer Studie hervor, die der Verband und die Unternehmensberatung im Rahmen der IFA 2017 vorstellten.
Nutznießer dieser Entwicklung soll natürlich der Endkunde sein. Denn Produkte und Dienstleistungen haben das Ziel, den Alltag effizienter und komfortabler zu gestalten. Ein simples Beispiel dazu: Der Wasserhahn läuft, aber niemand ist im Haus. Wenn die Wohnung nicht smart ausgestattet ist, werden im günstigsten Fall die Nebenkosten in die Höhe getrieben, im schlimmsten Fall steht die Küche oder das Bad unter Wasser. Wenn das Zuhause allerdings vernetzt ist, wird Alarm ausgelöst. Entweder eilt der Hausherr dann selbst herbei und stellt das Wasser ab, oder ein Installateur bzw. Hausmeister übernimmt das. Der unbeaufsichtigt laufende Wasserhahn ist ein kleines Problem mit hohem Schadenspotenzial. In einem Smart Home ist die Lösung, das Wasser abzustellen, technisch einfach. Aber die Prozesse, die korrekt ablaufen müssen, um dieses Problem zu lösen, sind kompliziert.

Ein Begriff für sechs Segmente
eco und Arthur D. Little kategorisieren den Smart-Home-Markt in sechs Segmente. Dazu zählen „Energiemanagement“, „Gesundheit und betreutes Wohnen“, „Sicherheit und Zugangskontrolle“, „Licht und Fenstersteuerung“, „Haushaltsgeräte“ sowie „Unterhaltung“. Das erwartete starke Wachstum werde über alle Marktsegmente hinweg erzielt, heißt es. Die Nachfragetreiber seien unter anderem Aspekte wie Energieeffizienz, Wohnungsbau, Komforts, Sicherheit sowie ein zunehmend massenmarkttaugliches Preisniveau.

Unterschiedliche Wachstumsraten
Die höchsten Umsätze werden aktuell in den Marktsegmenten „Energiemanagement“ und „Licht- und Fenstersteuerung“ generiert. In diesem Jahr machen diese Bereiche zusammen 60 Prozent des gesamten Smart-Home-Marktes aus. „Gesundheit und betreutes Wohnen“ ist derzeit mit etwa 40 Mio. Euro derzeit noch das kleinste Marktvolumen, werde in den kommenden Jahren aber stark an Bedeutung gewinnen. Ein jährliches Wachstum von knapp 60 Prozent wird hier erwartet. Der demografische Wandel, steigende Pflegekosten und Personalmangel sowie neue intelligente Angebote tragen zu diesem rasanten Anstieg bei. „Was die Wachstumsdynamik anbetrifft, unterscheiden wir zwischen Hardware-getriebenen Anwendungen, welche eher linear wachsen, und Applikationen sowie Software, bei denen exponentielles Wachstum möglich ist“, erklärt Dr. Karsten Wildberger, Mitglied des Vorstandes der E.ON SE.

Sorgen nehmen, Komfort schenken
Die Studie macht deutlich: Smart Home beinhaltet nicht nur die Vernetzung aller Geräte im und um das Haus herum, sondern umfasst auch die intelligente Interaktion dieser Geräte. Ziel ist es stets, die Funktionalität und Bedienerfreundlichkeit zu steigern. Die einheitliche, intelligente Steuerung erfolgt dabei zunehmend über Sprache. Dadurch entsteht ein Smart-Home-Ökosystem, das nahezu alle Lebensbereiche einschließt. Auch die Küche.
Doch es gibt ein Problem: der Mangel an Standardisierung. Nahezu jeder Hersteller, auch in der Küchenbranche, arbeitet mit seinen eigenen Hard- und Softwaresystemen. Vorrangig werde versucht, Umsätze mit der Hardware zu erzielen und somit das eigene Geschäftsmodell zu schützen. Diese Strategie sei in Deutschland weit verbreitet, heißt es in der Studie, verspräche auf lange Sicht jedoch keinen Erfolg.

Wettbewerber sollten kooperieren
Dabei ist der Markt hart umkämpft. Während Gerätehersteller, Energiekonzerne, Telekommunikations- und Softwareunternehmen hierzulande noch prüfen, ob es Sinn macht zu kooperieren und wenn ja, wie, erobern große Tech-Konzerne wie Samsung und Amazon in rasantem Tempo große Teile des deutschen Smart-Home-Marktes. „Ich hoffe, dass mehr Anbieter den Mut finden, einander mehr als Partner und weniger als Mitbewerber zu sehen“, sagte Harald A. Summa, Geschäftsführer von eco, bei der Vorstellung der Studienergebnisse, „und dass wir uns auf einheitliche Systeme – vor allem offene – einigen. Sie reduzieren Komplexität.“ Denn um das volle Potenzial eines vernetzten Hauses auszuschöpfen, sollten Geräte und Systeme über eine zentral steuerbare (Sprach-)Steuerung miteinander kommunizieren können. Google sei eines der wenigen Unternehmen, das auf ein offenes System setzt und seine Daten mit anderen Anbietern und Entwicklern teilt, so der eco-Geschäftsführer.

Andere Länder sind viel weiter
Summa ist sich sicher, dass die genannten Wachstumsprognosen zum Smart-Home-Markt sogar übertroffen werden können: „Dafür müssen wir es schaffen, über Grenzen hinweg zu denken und uns als Teil eines Ökosystems begreifen.“ Denn: Im weltweiten Vergleich hinkt Deutschland noch weit hinterher. Während hier aktuell knapp fünf Prozent der Haushalte Smart-Home-Lösungen nutzen, ist der Markt in anderen Ländern deutlich fortgeschrittener. So beträgt beispielsweise die Marktdurchdringung in den USA bereits das Dreifache im Vergleich zu deutschen Haushalten.

Sorge um die Daten
Die Gründe für die relative Zurückhaltung seien offensichtlich: Die Deutschen sorgen sich um ihre Privatsphäre. Dazu sind die Geräte nicht kompatibel. Aufgrund von Standard- oder Marken-Abhängigkeit kann bei Insellösungen nur eine limitierte Auswahl von Smart-Home-Geräten zusammengeschlossen werden. Weiter heißt es, die Installation sei für viele zu kompliziert und das Bedienen schwierig.

Vier zentrale Kundenbedürfnisse
Um die Zurückhaltung der Konsumenten aufzuweichen, sollten Unternehmen vier zentrale Kundenbedürfnisse ins Zentrum stellen: 1. Plug- und Play-Lösungen (also dass neue Geräte angeschlossen werden können, ohne anschließend Treiber zu installieren oder Einstellungen vornehmen zu müssen), 2. End-to-End-Support, 3. Zusatzdienste, Datensicherheit und integrierte Lösungen sowie 4. erschwingliche Preise.

Gemeinsame Lösungen finden
Fazit: Künstliche Intelligenz wird das smarte Zuhause der Zukunft managen. Um das riesige Marktpotenzial auszuschöpfen, müssen jedoch unterschiedliche Branchen und Technologien kooperieren und zusammen Lösungen finden. Erreicht werden kann dies nur durch einen hohen Grad des Daten- und Informationsaustausches.

www.eco.de

 



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