Hinter der Front geht’s weiter
„Wir haben das Motto der diesjährigen A30-Tour ganz bewusst gewählt“, berichtet Harald Klüh, Global Brand Manager bei Grass, der die Trendtour begleitete und moderierte. Denn die Leuchtturmprodukte der besuchten Aussteller machen die neuesten Trends der Branche sichtbar und sie verdeutlichen, wie wichtig die Rolle der Zulieferer für die Branche ist. „Masterpieces“, so Klüh, seien herausragende Meisterwerke, die als Höhepunkte im Werk eines Künstlers zu verstehen sind. Auf der Liste der Unternehmen, die das Unternehmen Grass mit einer internationalen Runde aus Journalisten besuchte, fanden sich entsprechend branchenbekannte Namen sie Häcker, Leicht, Störmer, Ballerina, Rotpunkt und Sachsenküchen. „Die größte Herausforderung für diese Unternehmen besteht darin, sich als etablierte Marktteilnehmer immer wieder neu beweisen und neu erfinden zu müssen“, erläutert Klüh. Immer wieder gelte es, Marktbedürfnisse zu antizipieren und Produkte zukunftstauglich zu machen.
Eine Branche im Umbruch
Die Küchenbranche befindet sich seit Jahren im Umbruch. Das steht für Harald Klüh fest. Der wichtigste Treffpunkt der Wohnung öffnet sich zu anderen Räumen. Er wird – wie andere Lebensbereiche der Wohnung zuvor – zu einem Spiegel der Persönlichkeit seiner Nutzer. „Diese vielbeschriebene Individualisierung hat viele Gesichter“, sagt der Markenspezialist. „Das fängt bei der Farbe an, betrifft aber ebenso Struktur und Material – und eben auch Funktionalität. Auch die weiße Standardküche, bei der der Nutzer ausschließlich Wert auf eine hohe Qualität des Innenlebens legt, drückt die Persönlichkeit des Benutzers aus.“
Diese Beobachtung hat auch Christoph Fughe, geschäftsführender Gesellschafter von Störmer Küchen, gemacht: „Die Innenorganisation der heutigen Küche hat kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. So hört die Küche nicht ‚hinter der Front’ auf. Ganz im Gegenteil: Auszüge, Stauraum und Funktionalität sind dem heutigen Kunden genauso wichtig wie eine ansprechende Optik und hohe Verarbeitungsqualität.“
Die Küche passt sich an
Das sieht man auch bei Ballerina Küchen so: „Im Trend liegen Modulküchen, die sich verschiedenen Funktionen und Lebensräumen anpassen können“, sagt Heidrun Brinkmeyer, geschäftsführende Gesellschafterin Marketing und Vertrieb bei Ballerina Küchen. „Die Individualisierung des Möbelinneren bekommt aus unserer Sicht immer mehr Bedeutung, da die Konsumenten gerade bei kleinen Küchen die Stauräume im Innenbereich optimal nutzen wollen.“ Als Masterpiece versteht man bei Ballerina den „ultimativen Korpus“. Er bilde seit „vielen Jahren die Basis zu dem hohen Individualisierungsangebot des Sortiments.“ Und ist auch die Grundlage für das wichtigste Produkt 2017, die
Y-Küche, mit der sich Ballerina eine neue, junge Zielgruppe erschließt, die „jung denkt und die nichts Konventionelles haben möchte, sondern eine Küche zur optimalen Kommunikation.“
Am Lebensstil des Kunden orientiert
Auch bei Sachsenküchen bestimmt Vielfalt die Kollektion: „Trend ist, was gefällt!“, sagt Geschäftsführer Elko Beeg. „Neben innovativen Materialien beziehungsweise Oberflächen wird sich der Trend zu ganzheitlichen Wohnkonzepten weiter fortsetzen.“ Das hat der Küchenhersteller aus dem Erzgebirge auch zum Mittelpunkt seines „Meisterwerks“ gemacht: „Wir haben unser Lebensstilkonzept weiterentwickelt und präsentieren auf einer Sonderfläche von 90 m2 ein komplettes Apartment, welches dem Einrichtungskonzept des ganzheitlichen Wohnens folgt. Neben der lebensstilorientierten Ansprache des Kunden können sich die Händler ein aktuelles Bild davon machen, wie sich unser Unternehmen auf die Herausforderungen der Zukunft einstellt.“
Alles in „Zircon“
Vielfalt hinsichtlich der Oberflächengestaltung gehört in der Küchenbranche zu den Standards. Die funktionale Verbesserung der Materialien gehört für Andreas Wagner, Geschäftsführer bei Rotpunkt Küchen, zu den Trends: „Wir sehen ein deutliches Potenzial bei der Entwicklung von neuen Materialien und technischen Oberflächen wie zum Beispiel ‚unzerstörbaren‘ Beschichtungen oder lotusartigen Nano-Materialien.“ Als Masterpiece sieht Andreas Wagner die Weiterentwicklung des Auszugs-Systems: „Wir setzen das Scala-System in der Sonderfarbe „Zircon“ ein und stellen die gesamte Innenausstattung auf einen dunklen Anthrazit-Farbton ein. Diese Individualisierung im Möbelinneren gibt unseren Händlern ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich vom Wettbewerb absetzen können.“
Immer neue Kombinationen
Für Häcker Küchen liegt der Trend in der Kombination verschiedener Materialien, Farben und Texturen. „Wir präsentieren markante Oberflächenstrukturen im Bereich der Holzfronten und im Premium-Bereich neue Materialien wie Steinfurnier und Echtbeton-Oberflächen“, sagt Markus Sander, Geschäftsführer Vertrieb /Marketing /Controlling bei Häcker Küchen. Als Masterpiece zeigt das Unternehmen den „SlightLift“, ein neues System, welches eine Kombination aus Oberschrank und Regal ist. Darüber hinaus wird ein weiteres Thema erläutert, das für alle Möbelhersteller wichtig ist: Nachhaltigkeit. Unter dem Slogan „PURemission“ stellt Häcker Küchen wie berichtet (vgl. KÜCHENPLANER 10/2017, Seite 49) ab sofort die komplette Modellpalette auf formaldehyd-reduzierte Holzprodukte um. „Damit zeigen wir, dass wir hinsichtlich der Formaldehyd-Emission nach den hohen US-amerikanischen Standards produzieren und die europäischen Richtwerte damit deutlich unterschreiten“, so Sander.
Mit anderen Systemen vernetzt
Nicht nur Nachhaltigkeit und Individualität gehören zu den großen Trends, die die Branche beschäftigen. Ein weiterer Punkt ist das „Smart Home“: „Die Digitalisierung der Küche wird in den nächsten Jahren voranschreiten. Dazu zählt die Einbindung intelligenter Geräte, die Vernetzung dieser untereinander und die Vernetzung mit anderen Systemen des Hauses“, sagt Christoph Fughe von Störmer Küchen.
Kompetenz im Innenausbau
Ein Raumkonzept stand im Mittelpunkt der Ausstellung von Leicht Küchen im house4kitchen: „Wir stellen erstmals eine architekturprägende ‚Raum in Raum‘-Konzeption vor und zeigen mit diesem Masterpiece die Kompetenz, die Leicht über die Küche hinaus im gesamten Innenausbau hat“, erläutert Stefan Waldenmaier, Vorstand des Küchenmöbelherstellers, den Ansatz. Im Trend sieht er vor allem das Unprätentiöse: authentische Oberflächen, ehrliche Materialien und feinstrukturierte Flächen, denen das Innenleben der Küche eine noch höhere Exklusivität verleiht: „Bewegungssysteme sind für den Endkunden ein Baustein, der die Küche in ein anderes ästhetisches Licht rückt. Eine grifflose Schrankzeile, die sich automatisch öffnet, ist eine smarte Lösung“, so Stefan Waldenmaier.
Was in Zukunft wichtig wird
Grass verfolgt mit der begleiteten Trendtour ein anspruchsvolles Ziel: Es soll gezeigt werden, wie sich die Branche entwickelt. Wie sehen die Küchen der Zukunft aus? Wie arbeiten Hersteller und Zulieferer, wie Hersteller und Handel zusammen? Um diesem Anspruch gerecht zu werden, kommen auf der Busfahrt von Station zu Station ausgwählte Experten zu Wort. In diesem Jahr konnten dafür Kirk Mangels, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche e.V. (AMK), sowie Ralf Jackels vom IFH Köln dafür gewonnen werden. Das Institut hatte kürzlich das Potenzial von Produktindividualisierung untersucht – und erläuterte die Ergebnisse bezogen auf die Küchenindustrie.
Wie Grass die Trends sieht
Zu einer Trendtour gehört natürlich auch eine Zusammenfassung der beobachteten Entwicklungen. Die sieht der Markenverantwortliche von Grass, Harald Klüh, so:
Offenheit: Es gab eine Zeit, in der es üblich war, den Inhalt von Möbeln hinter Türen und Schubladenfronten zu verstecken. In der Küche herrschte eine streng monolithische Formgebung. Selbst auf Griffe verzichtete man, um die klare Geometrie der Möbelquader möglichst ungestört wirken zu lassen. Diese Zeiten sind vorbei. Was man auf der Küchenmeile sehen konnte, war eine Renaissance der Offenheit. „Das ‚Verstauen‘ ist einer Art ‚zur Schau stellen‘ gewichen“, so Harald Klüh. „Das Möbelinnere öffnet sich dem Betrachter. Man könnte meinen, es handle sich um einen neuen, einen öffnenden Minimalismus, der die Küchen in Ostwestfalen sprichwörtlich durchatmen lässt.“
Der klassische Ober- oder Unterschrank wird von offenen Regalen abgelöst oder zumindest unterbrochen. Vitrinen wie zu Großmutters Zeiten kehren modernisiert und in puristischer Ausführung in das Zuhause von heute zurück. Sei es beim Küchenblock oder raumhohen Einbausituationen – man durchbricht große Frontflächen und sorgt für offene, gut zugängliche Präsentationsbereiche. Selbst die guten alten Tablarschubladen sind wieder da. So wird das Staugut zum integralen Gestaltungselement der Küche erhoben.
Raumkonzepte: Die Wand wird als Teil des Möbels verstanden und passend zum Möbel gestaltet. So ergänzen sich Raum und Möbel perfekt – und verschmelzen miteinander. Küchen kommen im Kontext des sie umgebenden Raumes erst richtig zur Geltung. Emotionalisierung ist das Schlagwort der Stunde. „Welch‘ großartige Möglichkeiten sich bieten, um Marken und Produkte emotional zu inszenieren, konnten die Besucher der MOW dutzendfach erfahren“, sagt Harald Klüh. „Wie in anderen designaffinen Branchen auch sind viele der großen und kleinen Hersteller mittlerweile dazu übergegangen, kein Produkt mehr zu verkaufen, sondern Inspirationsquelle zu sein. Bekannte Marken und die, die es werden wollen, setzten auf emotionale Auftritte. Die gezeigten Küchen beziehen ihr Umfeld in die Gestaltung ein, Räume passen sich an, Decken, Böden und Wände harmonieren oder kontrastieren. Alles fließt ineinander. Materialen, Farben, Oberflächen, Accessoires – selten waren die innenarchitektonischen Zutaten vielseitiger als zurzeit.
Individualisierung „Made in Germany“: Individuelle Möbel anzubieten, bedeutet nicht, 3000 Farbvarianten liefern zu können, sondern Konzepte zu ersinnen, die es möglich machen, den Charakter einer Küche durch kleine Eingriffe individuellen Wünschen anpassen zu können. Im Grunde ist das dem klassischen Plattformgedanken sehr ähnlich. Frei nach dem Motto „Wenn man einen einzigen Parameter verändert, verändert man alles“, werden moderne Küchen zu Baukastensystemen, deren Komponenten den Ingredienzien eines Menüs gleichen. Oft reichen Akzente aus, um den richtigen Geschmack zu treffen. Man wechselt die Wandgrafik, das Material der Arbeitsplatte oder setzt eine markante Schubkastenblende ein – und schon entsteht ein Unikat. Partielle Individualisierung könnte man diesen Trend bezeichnen. „Klingt einfach. Ist es auch“, so Harald Klüh.
Metallische Töne: Man muss kein Prophet sein, um nach dem Besuch der diesjährigen Küchenmeile vorherzusagen, dass in den Showrooms künftig vermehrt metallische Oberflächen zu sehen sein werden. Ausnahmslos alle Aussteller hatten Stahl, Edelstahl, Messing, Kupfer und/oder Aluminium im Einsatz. Vorzugsweise matt, mit leicht aufgerauter, teils unregelmäßiger, natürlich wirkender Patina. Nicht nur Möbel, auch Accessoires und Messestände spiegelten diesen Trend wieder. Heißt: Die kommenden Jahre werden matt metallisch. „Dies ist insofern hoch interessant, da sich bereits seit einiger Zeit ein gewisser Trend zur ‚Heavyness‘ abzeichnet“, hat Harald Klüh beobachtet. „Aus ‚leichter, dünner, glatter‘, was die Maxime der vergangenen Dekade war, scheint sich ein ‚massiver, schwerer, rauer‘ zu entwickeln.“ Gewicht und Masse vermitteln Stabilität und werden zum Qualitätsmerkmal. Dass den Metallen daher eine Blütezeit bevorsteht, ist nicht weiter verwunderlich.
Einzigartige Material-Mixtur: Dass man in einer einzigen Küche matte und glänzende, vor allem aber verschiedene Materialien kombiniert, dass man monochrome Fronten mit groben Patterns oder grafischen Elementen mischt, war zweifellos als einer der neuen Gestaltungstrends auszumachen. Wenn man es genau nimmt, lautet die neue Gestaltungsregel, dass es keine mehr gibt. Klassiker wie Holz, Glas, Edelstahl und Aluminium sind seit Jahren ständige Begleiter in der Küche. Im Zuge der neuen Gestaltungsfreiheit gesellen sich jedoch ganz andere Werkstoffe und Muster dazu. Keramik ist beispielsweise groß im Kommen, ergänzt von Stein, Mineralstoff oder textilen Elementen. Eine Führungsrolle spielten überraschenderweise verschiedene Metalle.
www.grass.at