31.10.2018

Drei Wände aus Gipskarton und fertig ist sie: die Küchenkoje. Seit der Erfindung der Einbauküche ist sie elementare Präsentationsform des planenden und verkaufenden Handels. Doch ihre Tage scheinen gezählt.

Dirk Biermann

Nach IFA und Küchenmeile türmen sich die Eindrücke zu beängstigenden Bergen. Materiell wie geistig. Kataloge, Broschüren, Pressedossiers und USB-Sticks belegen jeden Quadratzentimeter des Redaktionsschreibtisches und den Bodenbelag drum herum. Fein säuberlich gestapelt nach Rubriken: Möbel, Gerät, Zubehör, Planung, Marketing und Sonstiges. Dabei verheddern sich manche Zuordnungsfragen im Detail: Zählen Arbeitsflächen zum Möbel oder zum Zubehör? Oder sollte eine eigene Kategorie eingerichtet werden? Mit einem eigenen Stapel? Es heißt ja, dass äußere Ordnung die innere nach sich zieht. Einen Versuch ist es sicher wert.

Was also ist das Fazit von IFA und Küchenmeile in diesem Jahr? Von area30, cube30, KCL, h4k und Gut Böckel? Ein langanhaltender Blick auf den Zentner Papier um mich herum und die Antwort scheint klar. Alles ziemlich dunkel und wertvoll. Mit viel Schwarzglas. Und viel Stein und Metall und was man dafür halten mag. Küche ist nicht länger allein Küche im ureigenen Arbeitssinn, sondern Teil des Wohnens und des Lebens. Soweit klar. Unklar bleibt: Was ist Anfang, was ist Ende? Beginnt das Wohnen im Wohnzimmer und endet in der Küche? Oder ist die Küche Zentrum und Ursprung zugleich und alles andere Anhängsel im Sinn einer geduldeten Notwendigkeit?

Wenn die Industrie das Sagen hätte, dann sicherlich Letzteres. Bestrebungen, die Küche nicht mehr im traditionellen Dreiklang „Design-Familie-Landhaus“ zu denken, sondern als Ausgangspunkt für ein wand- und grenzenloses Ganzes, das sich aus allem speist und dabei hemmungslos mixt und kombiniert und Regale als verbindende Elemente nutzt, sind allgegenwärtig. Im Arbeitsdreieck Verl-Löhne-Rödinghausen wurden die Ausstellungen über den Sommer geradezu auf links gezogen. Lebensräume wurden geschaffen. Der definierte Einrichtungsstil als Ausdruck einer Wohnvorliebe musste weichen und mit ihm Wände und die klassische Küchenkoje. Wechselnde Lebenslagen und temporäre Bedürfnisse vertragen keinen Gipskarton.

Jedenfalls keine Überdosis. Natürlich wurden in den Ausstellungen der Küchenmöbelhersteller die Ideen für die Kollektionen 2019 wie gewohnt auch im Separee gezeigt. Und doch schwebte über allem allerorts die Botschaft: „Wir wollen dem Handel zeigen, wie sich moderne Küchenkonzepte zeitgemäß präsentieren lassen.“ Nämlich in Wohn- und Lebenswelten und nicht länger in aneinandergereihten Einzelabteilen. Dabei ließen die Hersteller das Maß der Möglichkeiten mit der Bildersprache wirken. Dass sich der Handel bewegen und die Ideen umsetzen sollte, wurde so richtig laut nur hinter vorgehaltener Hand verlautbart. Messegespräche vertragen Kritik nur in homöopathischen Dosen. Und sei sie noch so konstruktiv.

Und so lautet ein Fazit der Herbstmessen: Es führt wohl kaum ein Weg daran vorbei, sich mit den Ideen einer erweiterten und flexibleren Art der Küchenpräsentation näher zu beschäftigen. Die klassische Küchenkoje scheint ihre besten Tage hinter sich zu haben und ist reif für die Rente. Stattdessen drängt interaktiv nutzbare Beratungssoftware nach vorn und ergänzt die gut ausgestattete Musterecke. Wobei die Musterecke natürlich nicht mehr Musterecke heißt. Der zeitgemäßen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Irgendwas mit Inspiration kommt immer gut.

Im inhabergeführten Fachhandel mag man diese Entwicklung teils aufmerksam, teils gelassen begleiten. Manche Ideen sind mancherorts bereits umgesetzt oder in Planung und lassen sich nun noch zielführender verfeinern. Spannend wird es hingegen in den Vertriebsformen, die sich rein über Masse definieren. Wie lange sich die Kunden noch mit spärlich dekorierten Kolonnen von Musterküchen abspeisen lassen? Das weiß natürlich niemand zuverlässig zu beantworten. Aber mit einer VR-Brille allein wird der Weg in die digitale Zukunft einer individualisierten Küche nicht zu beschreiten sein. Und der geschenkte Geschirrspüler als Marketingstrategie? Der fruchtet wohl bald auch nur noch bei denen, die ohnehin möglichst wenig bis so gut wie nichts für eine neue Küche bezahlen wollen.

Dirk Biermann

Dieser Beitrag ist als Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 10/11 2018 erschienen.



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