06.05.2019

Der Tisch – nicht nur zum Essen ist er da

Der „Plate Dining Table“, den Jasper Morrison für Vitra entworfen hat, folgt dem Grundsatz der Materialeffizienz: so viel wie notwendig, so wenig wie möglich. Details wie die leicht abgewinkelten Beine oder der kleine Überstand der Tischplatten sollen an archetypische Tische erinnern und diese gleichzeitig modern interpretieren. Foto: Vitra

Tische spielten auch auf der imm cologne 2019 eine wichtige Rolle. Kein Wunder, denn sie wurden zum neuen Kommunikationszentrum und Treffpunkt des Hauses ausgerufen. Foto: koelnmesse

Die Unterkonstruktion des Tisches „T2“ (Andersen) überzeugt durch die handwerkliche Umsetzung. Durch den integrierten Klappauszug kann der Tisch um ein oder zwei integrierte Erweiterungsplatten verlängert werden. Dazu wird einfach an den Tisch­enden gezogen und die Platten werden nach oben geklappt. Foto: Andersen

Der Tisch als Farbtupfer. Das Modell „Tense Diamond“ (MDF) ist eine Hommage an die antike chinesische Lacktechnik. Das brillante Rot wird per Hand aufgetragen, sodass jeder Tisch ein kleines Unikat ist. Der Tisch ist in fünf Höhen und 36 Größen erhältlich. Foto: MDF

Oldie but goldie. Der von Alvar Aalto für Artek ­entworfene Ess­tisch aus Holz ist ein typischer Repräsentant des skandi­navi­schen De­signs. Die Tischbeine sind aus Birke, die Oberfläche des Tisches besteht wahlweise aus Birken­furnier, Laminat weiß oder Linoleum schwarz. Foto: Artek

Man geht nicht ins Restaurant, sondern kocht und isst gemeinsam mit Gästen zu Hause. Daher werden viele Tafeln direkt mit den Küchenmöbeln verbunden (Ballerina-Küchen) und die Tische werden Teil der Arbeitsplatte. Foto: Ballerina

Der Auszug-Esstisch „Fontana“ (Dränert) kann über eine integrierte Faltplatte von 180 cm auf 260 cm verlängert werden. Die Tischplatte besteht aus Marmor, die Beine sind in Massivholz ausgeführt. Foto: Dränert

Die österreichische Manufaktur ­Dreikant verarbeitet in der hauseigenen Tischlerei und Schlosserei vom Baum bis zum fertigen Tisch alles selbst. Herauskommen urwüchsige, individuelle Möbel, denn der Kunde entscheidet schon bei Rohplattenauswahl mit. Foto: Dreikant / christophkobald.at

Zentrale Designmerkmale des Modells „Barra“ (Girsberger) sind ein Trägerbalken aus Massivholz sowie die schräg angestellten Beine aus 10 mm starkem, schwarz pulverbeschichtetem Stahl. Die Länge des Tisches kann von 160 cm bis zu 400 cm frei gewählt werden. Foto: Girsberger

Die Zahl der Singlehaushalte wächst, daher sind auch kleine Tische ein Thema. Das Modell „Cena“ (Werther) mit Scherenfußgestell und Massivholzplatte gibt es mit den Maßen 120 cm x 80 (90). Foto: Werther

Der oval geformte Massivholztisch „Ashida“ (e15) wurde von Philipp Mainzer entworfen. Das Modell ist in europäischem Nussbaum und ­Eiche geölt oder weiß pigmentiert erhältlich. Foto: e15

Die Tische der „Edition ­Stefan Knopp“ (­Janua) punkten mit ausgefallenen Oberflächen. Die reine gewaschene Oberfläche erinnert an Schwemmholz. Bei anderen Varianten werden in das zuvor geköhlte und gewaschene Holz Echtmetallpigmente, wie Gold und Graphit, eingewaschen. Foto: Janua

Das Designteam EOOS findet, dass Leben am Stehtisch Leben auf Augenhöhe ist. Wer da ist, lädt ein. Wer neu hinzustößt, ist sofort an Bord. Beim „Deen Table“ (Knoll) ist außerdem Wertigkeit ein wichtiges Thema. Platte, Zarge und Füße bestehen aus edlem Massivholz mit geölter Oberfläche. Die geringe Breite erleichtert die Kommunikation. Foto: Knoll

Optischer und zugleich statischer Mittelpunkt des Tisches „R2“ (Rahmlow) ist das Gestell, Stahlrohre die durch ein Art Knoten verbunden sind. Eine Magnetverbindung hält Platte und Gestell zusammen. Sie ist so ausgelegt, dass sie sich jederzeit ohne den Gebrauch von Werkzeug lösen lässt. Foto: Rahmlow

Der Tisch „tak“ von Team 7 wirkt mit der nur 16 mm dünnen Tischplatte trotz seiner ­Größe sehr leicht. Die Auszugsvariante lässt sich mit nur drei intuitiven Handgriffen – ziehen, schwenken und arretieren – um 50 oder 100 cm auf eine Gesamtlänge von bis zu 3,50 m ausziehen. „tak“ gibt es sowohl mit Metall- als auch mit Holzfüßen. Foto: Team 7

Der Tisch gilt als neues Zentrum des häuslichen Lebens und der Kommunikation. Als Ort, an dem sich Familie und Freunde versammeln. Und als Möbelstück mit Multifunktion. Kurz: Der Tisch ist unser neues Lagerfeuer in einer digitalen Welt.

Auch Alfredo Häberli, der für die LivingKitchen 2019 in Köln die ­Future Kitchen-Vision „­Sense & Sensuality entwickelt hat, ist ein Fan des Tisches. Für ihn ist die ­Küche wichtiges Bindeglied für das soziale Leben und der Tisch spielt dabei eine entscheidende Rolle, wie er in einem Interview mit der Köln Messe sagte: „Die Küche ist die Seele des Hauses. Zur Küche gehört für mich auch der Esstisch. Schon während des Studiums haben wir die besten Ideen, die besten Modelle am Küchentisch entwickelt. Dafür braucht man noch nicht einmal eine große Tafel – es reicht schon der einfachste, kleinste Küchentisch, um zu skizzieren oder ein Modell zu basteln. Am selben Tisch wird das Essen angerichtet, gespielt, Hausaufgaben gemacht. Für mich ist die Küche unmittelbar angedockt an diesen Tisch.“ Er führt die zentrale Rolle des Tisches u. a. darauf zurück, dass wir im Alltag mit unseren intelligenten Kommunikationsmitteln genug allein sind.

Auge in Auge
Dazu kommt, dass sich auch die Wohngrundrisse ändern. Von der traditionellen Raumaufteilung (­Küche mit Küchentisch, Esszimmer mit Esstisch, Wohnzimmer mit Sofa und Couchtisch) geht es Richtung offenes Wohnen. Gerade ­Küche und Esszimmer verschmelzen nahtlos miteinander. Da gewinnt der Gemeinschaftstisch in zentraler Lage zunehmend an Bedeutung. Er ist mehr als ein Ess­tisch und wird so zum Herz des Hauses. Am Tisch sitzt man sich gegenüber, sodass die Kommunikation gleichwertiger und fokussierter wird, da man sich direkt in die Augen schauen kann. Dieses gesellige Gefühl kennt man zum Beispiel aus Restaurants oder Biergärten und möchte es vielleicht gerne nach Hause
holen.

Wie im Kloster
Und tatsächlich scheint das bei den Herstellern allgemeiner Konsens zu sein. Auf der imm ­cologne im Januar wurden Tische in allen möglichen Formen, Farben und Materialien vorgestellt. Hervorzuheben ist die Vielzahl an gro­ßen, mächtigen Tafeln für viele Personen. Diese Tische, wie man sie aus Wirtshäusern oder Klöstern kennt, für sechs, acht oder mehr Personen, bezeugen den neuen Gemeinsinn. Man lädt Freunde ein, tafelt zusammen, erzählt, lacht, diskutiert. Dabei bleiben manche Modelle fast im (Holz-)Urzustand – roh gesägt und sehr natürlich wirkend. Doch auch die zunehmende Zahl der Single-Haushalte behält die Industrie im Blick und bietet Esstische auch im kleineren Format. Auffallend sind bei großen und kleinen Tischvarianten die unterschiedlichen Formen der Tischgestelle.

Flexibel und mobil
Wichtig ist die Wandelbarkeit vom kleinen zum großen Tisch. Auszugstische sollten um mehrere Sitzplätze wachsen können. Manche sind auch höhenverstellbar oder werden durch Schubladen komplettiert. Oder gleich ganz als „Hochtisch“ mit entsprechenden Stühlen geplant. Bei diesen Modellen stand die hippe Gastronomie Pate. Ein weiteres wichtiges Verkaufsargument ist die Mobilität. Die Tische sollen leicht zerleg- und transportierbar sein und damit gut zu unserer mobilen Gesellschaft passen. So kann man die häusliche „Feuerstelle“ auch bei einem Ortswechsel unkompliziert mitnehmen.

Sybille Hilgert


Wie der Tisch wurde, was er ist
Die Geschichte des Tisches beginnt mit der Sesshaftwerdung des Menschen und der Erfindung des Hauses. Das Wort wird vom griechischen „diskos“ abgeleitet, weil die Tische bei den Griechen rund wie die gleichnamige Wurfscheibe waren. Da in der Antike meist im Liegen gespeist wurde, dienten die Tische dazu, Speisen und Getränke auf ein erhöhtes Niveau zu bringen, um den Nutzern den Zugriff zu erleichtern.
In mittelalterlichen Häusern gab es statt eines Tisches nur die aus zwei Holzböcken und einer Tür bestehende Tafel, die rasch aufgestellt und nach dem Speisen wieder aufgehoben wurde. Die uns heute bekannten Tischtypen (Wangen-, Bock-, Zargen- und Säulentisch) wurden in der Zeit der Renaissance entwickelt.
Infolge der bürgerlichen Arbeit und des wirtschaftlichen Wachstums wurden neue Werkzeuge erfunden, neue Berufe etabliert und entsprechende Arbeitsräume gestaltet. Da sich auch der Schriftverkehr verstärkte, waren neue Auf- und Ablageflächen gefragt: So entstanden Werkbänke und Bürotische.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts büßte die Küche im häuslichen Bereich ihre zentrale Stellung ein. An die Stelle des Herdes als Versammlungspunkt trat der Esstisch in der „guten Stube“. Um 1800 waren dann nahezu alle Lebensräume mit Tischen in den unterschiedlichsten Ausformungen – vom Steh- über den Arbeits- bis hin zum Esstisch – ausgestattet. Und so ist es bis heute. (sh)



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