Brauchen „neue“ Käufer neue Küchenstudios?
Am Anfang steht ein Dilemma, das mit „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ recht gut umschrieben ist. Die Herkunft des Ausspruchs wird wahlweise dem Griechen Heraklit oder dem Briten Charles Darwin zugeschrieben. Fakt ist in jedem Fall: Wandel wird es immer geben. Und der Mensch muss drauf reagieren, wenn er mithalten möchte. Das gilt auch für den spezialisierten Kücheneinzelhandel. Um den ist es zwar trotz Corona so gut bestellt wie nie zuvor, doch gerade diese Position kann auch gefährlich sein: Wer viel zu tun hat, glaubt oft, dass es ewig so weiter gehen würde und hat darüber hinaus auch wenig Zeit, „outside the box“ zu denken, sich also Gedanken über neue Wege zu machen. Ein Fehler, denn der Wandel ist bereits im Gange.
Wie tickt der Kunde?
Wenn von Wandel die Rede ist, geht es weniger um die Ware selbst. Spüle bleibt Spüle. Schrank bleibt Schrank. Herd bleibt Herd. Küche bleibt Küche. Wie die Küche aber zum Kunden gelangt – das ist der Bereich, in dem Veränderungen aufgespürt werden können. Das Kaufverhalten nämlich ändert sich und wird sich weiter ändern. Die Kunden von Morgen sind weniger mobil. Oder besser gesagt: Sie sind weniger bereit, mobil zu sein, einfach weil sie es nicht brauchen. Sie nutzen alle Informationsmöglichkeiten, können mit Online-Planungstools umgehen und kaufen Internet-nah. Gleichzeitig nimmt man an, dass durch die berufliche Spezialisierung und die Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft das handwerkliche Geschick abnimmt und der Wert individueller Möblierung weiter zunimmt.
Und wie die Industrie?
Seitens der Industrie ist der Fächer immer breiter geworden. Früher gab es Spezialisten für Wohnen, für Bad, für Küche – heute sehen viele Möbelhersteller die Nutzungsmöglichkeiten ihrer Produkte in mehreren Bereichen. Sie gestalten ihre Produkte so, dass sie gleichermaßen in der Küche, in Hauswirtschaftsräumen, im Bad, im Flur oder auch im Schranksystem im Schlafbereich genutzt werden können.
Teilsortiment plus Online
Aus dem Gesagten ergeben sich Konsequenzen, auf die die Giganten des Möbelhandels bereits die passenden Antworten suchen. Dem Vernehmen nach soll zum Beispiel bei Ikea nicht weiter in die Großfläche investiert werden. Stattdessen wird die Verkaufsfläche reduziert und es geht in die Innenstädte. Während das 2014 eröffnete City-Ikea in Hamburg noch großzügig geplant ist und das volle Sortiment bietet, setzt die Zentrale nun auf ein neues Filialkonzept. In Paris wurde eine Filiale eröffnet, die nur ein Teilsortiment zur direkten Mitnahme bietet. Der Rest kann online geplant und bestellt werden. In Berlin gibt es gleich mehrere Mini-Ikea-Filialen, teils mit gerade einmal 400 Quadratmetern und in Potsdam liegt mitten in der Einkaufsstraße ein Laden mit 1500 Quadratmeter. In diesen Stores, die durch Planungsbüros ergänzt werden, können Kunden ihre Einrichtung planen und bekommen sie dann nach Hause geliefert. Dass Ikea sein ursprüngliches Erfolgskonzept aufweicht, hat den Grund im zuvor genannten veränderten Käuferverhalten: Gerade im urbanen Raum verzichten immer mehr Menschen auf das Auto und bestellen stattdessen online – und da gibt es mittlerweile eine ganze Menge Konkurrenz für die Schweden.
Rückeroberung der Städte
Kann der Küchenhandel von Ikea lernen? Sind die Geschäftsmodelle überhaupt vergleichbar? Ja, zumindest in Teilen: Auch wenn jede Küche ein Einzelstück ist und sich die wenigsten noch so ambitionierten Hobby-Handwerker die Planung selbst zutrauen, wird das veränderte Käuferverhalten Konsequenzen haben. Die meisten Küchenstudios liegen außerhalb und setzen dort auf große Ausstellungsfläche, die sie in der Innenstadt nicht haben würden. Trotzdem spricht einiges für eine Rückeroberung der Städte. Hier kann der Küchenhandel dem Kunden ein unbeschwertes Einkaufserlebnis ermöglichen – Kücheninteressierte können sich erst selbst an der Onlineplanung versuchen, dann professionelle Beratung bekommen, die dann zur Vertragsunterzeichnung vor Ort führt. Das Ganze findet in einer Wohlfühlatmosphäre bei einer Wohlfühlbewirtung statt. Kleinere Küchen- oder auch Bad-Accessoires können dabei gleich mit nach Hause genommen werden. Letztere, weil es durchaus ratsam ist, dass Küchenstudios sich zukünftig breiter aufstellen und Kastenmöbel nicht nur für Küchen, sondern auch für das Bad, für Hauswirtschaftsräume, Garderoben oder Schranksysteme verplant – je nachdem, was die Hersteller alles anbieten.
Neue Ausstellungskonzepte
Möchte ein Küchenhändler ein solches Projekt in Angriff nehmen, muss er sich Gedanken über neue Raum- und Ausstellungskonzepte machen. Planer und Verkäufer werden neue Kompetenzen benötigen und auch das Werbekonzept muss überarbeitet werden. Auf einer Raumgröße von 150 bis 500 m² können dem Kunden dann neben der Küche auch weitere Anwendungsmöglichkeiten der Kastenmöbel nähergebracht werden. Der Showroom kann ähnlich wie die Flagship-Stores der Automarken Lounge-artig gestaltet sein: mit Arbeitsinseln, an denen der Kunde mit der Planung seiner Räume beginnen kann; mit einem Cappuccino, der an der Kaffeebar serviert wird; mit professioneller Hilfe, wenn sie gewünscht ist; mit der Möglichkeit, sich durch eine kleine, repräsentative Auswahl an Mitnahmeartikeln zu stöbern, die gleichzeitig als Deko dient. Besondere Aktionen wie eine „Kochschule“ können für höhere Frequenz und auch für Kundenbindung genutzt werden. Um die Kunden bedienen zu können, wird hier ein neues Jobprofil benötigt. Servicekräfte, die den Fachberatern zur Seite stehen, den Erstkontakt herstellen und auch die Termine machen. Und auch die Fachberater müssen sich umstellen. Sie sollten weniger Abschlussdruck ausüben – und vielleicht sogar dem Kunden die Erstellung des Bestellformulars überlassen. Auch die Marketingkonzepte sollte sich inhaltlich dem neuen „Erlebnis Küchenkauf“ anpassen.
Vieles wird schon gelebt
Muss der Küchenhandel jetzt alles umkrempeln? Natürlich nicht. Viele dieser Gedanken werden in den Küchenstudios von heute bereits gelebt. Außerdem vollzieht sich die Anpassung schleichend. Heute wollen viele Kunden noch das Rundum-Sorglos-Paket und sind auch bereit, dafür größere Wege in Kauf zu nehmen. Kundennahe Services sind in vielen Küchenstudios bereits vorhanden – allerdings können die Kunden meist nicht selbst mit der Planung beginnen. Andere Geschäfte bieten schon heute Lösungen für Hauswirtschaftsraum oder Bad – doch die Kunden haben noch nicht die Möglichkeit, Accessoires mitzunehmen. Diese Ansätze können und sollten angegangen werden, zumal sie ohne größeren Aufwand umzusetzen sind. Bevor Küchenstudios jedoch Investitionen in noch größere Ausstellungsflächen im Gewerbegebiet tätigen, sollten sie die Marktentwicklung genau beobachten. Vielleicht ist der Umzug in den Innenstadtbereich in Zukunft der geschicktere Schachzug.
Zum Autor
Volker Schmidt ist Steuerberater und Vereidigter Buchprüfer. Zudem ist er Fachberater für Unternehmensnachfolge und für die Umstrukturierung von Unternehmen sowie Datenschutzbeauftragter insbesondere für den Küchenhandel. Die SEB Steuerberatung ist seit 1990 auf den Kücheneinzelhandel spezialisiert.