30.03.2020

Flucht, Angriff und Verharren. Das sind die Reflexe, die uns Menschen in bedrohlichen Situationen automatisch steuern. Dabei wären Umsicht und Flexibilität jetzt so wichtig. Und Antworten auf die Frage: Was hilft? Das Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 3/4 2020, die am 17. April gedruckt erscheint.

Dirk Biermann, Chefredakteur KÜCHENPLANER. Foto: P. Ostermann

Montag, 30. März 2020, kurz vor elf. Das ist neu für mich. Ich beginne einen Text mit der Angabe von Datum und Uhrzeit. Doch was ist seit Anfang März schon normal? Die Welt steht kopf, denn das Coronavirus SARS-CoV-2 ist über uns gekommen. Erst in einer mir unbekannten chinesischen Provinz, dann in ganz China, in Asien, Europa, Amerika, Afrika - weltweit. Es bedroht uns nach allen Regeln der Kunst. Körperlich, materiell, psychisch und ethisch. Die Situation ist vertrackt. Als reichten die medizinischen Herausforderungen und Begrenzungen der Gesundheitssysteme nicht, zeigt das Virus mit dem Finger auf die Sollbruchstellen unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Es ist Montag, 30. März 2020, inzwischen kurz nach elf. Mir scheint es absurd, etwas über einen Zustand zu schreiben, ohne zu wissen, wie die Welt am 17. April ausschaut. Dann erscheint das gedruckte Heft.

 

Und doch muss es sein. Natürlich gibt es grundlegende Gedanken, die es wert sind, genannt zu werden. Zum Beispiel, dass es Mut erfordert, der Lage ins Gesicht zu schauen und die Dinge zu sehen wie sie sind. Sie nicht zu verharmlosen, sie aber auch nicht voreilig schlimmer zu machen als sie tatsächlich sind – zum jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt.

Warum ich das schreibe? Weil mir aufgefallen ist, wie unterschiedlich wir Menschen mit schwierigen Situationen umgehen können. Manche suchen Lösungen und trauen sich, Entscheidungen zu treffen. Sie nehmen in Kauf, dass sie sich irren können. Sie tun es trotzdem. Und dann gibt es jene, die in der zweiten Reihe mit den Hufen scharren und von dort aus mit Eiern werfen. „Das hätte man alles viel früher machen müssen.“; „Das muss jetzt alles schneller gehen.“; „Das reicht doch alles nicht.“

Was davon stimmt und was nicht? Wer weiß das schon. Was mich irritiert, sind die undifferenzierten Zwischenrufe. Da wird teils reflexhaft gemahnt, sich gesorgt, prophezeit und finster an die Wand gemalt – ohne irgendetwas Hilfreiches beizutragen. Als sei eine Kritik an sich schon konstruktiv. Ja, es ist derzeit schwierig und an manchen Stellen geradezu beängstigend. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden zu viel Leid führen. Und trotzdem: Gelingen wird es wohl nur mit Zuversicht und solidarischer Tatkraft.

 

Diese Pandemie verändert viele Abläufe, wie wir sie gewohnt sind. Sie trifft uns an empfindlichen Stellen. Sie deckt Ungesundes auf und weist uns darauf hin, was wir in Zukunft besser machen könnten, vielleicht sogar sollten. Auch in unserer Branche. Sollte wir Lieferanten künftig auf einer breiteren Basis auswählen? Vielleicht Lagerkosten als notwendig einpreisen? Vielleicht Umsatz nicht länger als Selbstzweck heiligen, sondern seine jeweilige Qualität hinterfragen? Vielleicht Verhandlungen so gestalten, dass alle einen Gewinn daraus ziehen? Vielleicht Internationalisierung europäischer denken? Vielleicht den Erfolg eines Unternehmens an einer Art Gemeinwohl bemessen und nicht ausschließlich an der Höhe der Dividende? Vielleicht weniger Ich und mehr Wir leben?

 

Fragezeichen wie diese säumen an diesem Montag, 30. März, unseren Weg durch den Alltag. Am 17. April werden sie wohl weiterhin gelten. Auch die Küchenbranche wird sich hinterfragen und in Teilen neu erfinden müssen. Mit so viel Offenheit und Flexibilität wie möglich. Aktuell glitzert alles Digitale und Virtuelle. Ich persönlich bin wie viele andere auch davon überzeugt, dass die diversen Instrumente der Online-Kommunikation hilfreich sein können. Sofern noch nicht geschehen sollten wir uns das Know-how dafür unbedingt aneignen und es offensiv nutzen.

Und doch sollten wir uns nicht ausschließlich hinter Bildschirmen, Bits und Bytes einrichten. Die Gegebenheiten werden sich wieder ändern. Das ist gewiss. Wir werden vielleicht auf unbestimmte Zeit einen gewissen körperlichen Abstand einhalten müssen, doch das darf persönliche Kontakte von Angesicht zu Angesicht nicht ausschließen.

 

Dirk Biermann

Chefredakteur KÜCHENPLANER



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