Die ??? und das mysteriöse Jahr 2023

Das Jahr 2023 war gespickt mit erstaunlichen Begebenheiten. Eine davon speist sich aus sieben Buchstaben und brachte uns ordentlich in Wallung. ChatGPT. Plötzlich schien alles unsicher. Jobs sollten überflüssig werden. Unsere gesamte Art zu leben, neu konstruiert von einer künstlichen Intelligenz, von der niemand genau wusste, aus welcher Garage im Silicon Valley sie entkommen war und wie sie funktioniert. Erste Eigenversuche mit dem Chatbot dämpften die Sorge vor zu viel Veränderung. Denn die Ergebnisse erinnerten eher an den Klassenclown aus der Grundschule, aber nicht wie eine ernst zu nehmende Gefahr. Dabei lag es an der eigenen Unzulänglichkeit. Wer ungenau spricht, erhält ungenaue Ergebnisse. Wir mussten lernen, klare Anweisungen zu geben und konkrete Fragen zu stellen, damit die Antworten etwas taugen. Wie im richtigen Leben. Frage, Antwort, Gegenfrage und zwischendrin mal überlegen. Eine Kommunikation mit Tücken. Denn wenn das von Menschen mit Daten gespeiste Programm bei der linguistischen Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht weiterkommt, behauptet es einfach irgendwas. Halluzinieren heißt das im Expertenjargon. Also ebenfalls wie im richtigen Leben und wie der Spiegel unserer Eigendarstellungen auf Social Media. Was ist an einem „Weiß ich auch nicht!“ bloß so schwierig? So braucht es inzwischen mehr und mehr Zeit, um den Wahrheitsgehalt KI-generierter Antworten zu überprüfen. KI ohne Faktencheck ist weitaus bedenklicher als der zwar exzentrische, aber unter dem Strich harmlose Plausch mit Klaus, Erwin oder Judith.

Ein weiteres Mysterium datiert aus dem Frühjahr. Auf einmal war Corona vorbei und niemand hatte Bescheid gegeben. Kein Trommelwirbel, keine Farewell Party, einfach so. Plötzlich sprach niemand mehr darüber. Als habe sich das Kollektiv still darauf geeinigt, dass die Pandemie niemals stattgefunden hat. Kein Lockdown für alle, keine in die Hosen gerutschten Herzen, keine Panik ohne Blaupause für eine Lösung. Wortlos verabschiedet, schlich die Pandemie von dannen, wie ein lästiger Onkel, der einst uneingeladen auf der Matte stand und viel zu lange zu Besuch blieb. Und dann saßen wir da mit unseren vielen Einwegmasken und wussten nicht wohin mit der Kiste Händedesinfektion vom letzten Black Friday. Dass jetzt (Stand Ende November 2023) wieder eine Coronawelle durch unser Zusammenleben schwappt, ändert nichts an der merkwürdigen Situation im Frühjahr. Und was ist eigentlich mit Matthias Horx? In den Anfangswochen der Pandemie beruhigte uns der Zukunftsforscher mit dem Bestseller „Die Zukunft nach Corona“. Könnte er jetzt nicht mal schildern, wie das mit der Verdrängung und der Amnesie funktioniert? Und ob das überhaupt gesund ist? Oder fällt das in die Zuständigkeit von Dr. von Hirschhausen?

Was bleibt also von diesem Jahr 2023? Sicher mehr als zwei, drei Fragezeichen. Und wahrscheinlich die Ahnung, dass es kluger Strategien und einer beherzten Kommunikation bedarf, wenn einem die Küchen nicht mehr aus den Händen gerissen werden. Ob die KI helfen kann? Als Ideengenerator ist sie richtig gut. Vielleicht erinnert uns der Chatbot sogar daran, dass ausuferndes Klagen zu einer schlechten Angewohnheit werden kann, die der Kreativität die Luft zum Atem nimmt und der Tatkraft den Stecker zieht. Für den Silberstreif in der Weltuntergangsstimmung sind wir wohl selbst zuständig. Es braucht einen Ruck. Manche nennen es Perspektivwechsel. Auch wenn sich manche Rahmenbedingungen deshalb nicht ändern.

Es geht weiter. Auch in ungemütlichen Zeiten. Denn es geht immer weiter und nach 2023 kommt 2024. Aber jetzt erst einmal etwas Pause. Das KÜCHENPLANER-Team wünscht Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine gute Zeit. Rund um Weihnachten und darüber hinaus.

Dirk Biermann

Dieser Beitrag erscheint als Editorial in Ausgabe KÜCHENPLANER 12/2023. Erscheinungstermin des gedruckten Hefts ist am 15. Dezember 2023. Das E-Paper steht Abonnenten des kostenfreien Newsletters bereits zur Verfügung.