Auf dem Weg ins grüne Normal

Dirk Biermann Chefredakteur KÜCHENPLANER, print & online
Dieser Beitrag ist als Editorial im KÜCHENPLANER 3/4 2025 erschienen. Das gedruckte Heft ist heute erschienen, das E-Paper ist Bestandteil unseres kostenlosen wöchentlichen Newsletters.
Vor zwei Jahren waren die Kölner Messehallen kaum wiederzuerkennen. Grün, wohin das Auge blickte; Naturtöne und Holz, komplette Baumstämme. Die Möbelzulieferer hatten ihre ökologischen Wurzeln entdeckt und stellten diese auf der interzum 2023 offensiv zur Schau. Ganze Messestände verschwanden in einem Meer von Topfpflanzen. Das war hübsch anzusehen, ließ aber in mancher Umsetzung Zweifel aufkommen, ob der Messebau den individuellen Unternehmensstrukturen nicht ein paar Schritte zu weit voraus war. Denn es schien weit hergeholt, dass alle Möbelzulieferer, ob Holz-, Stahl- oder Kunststoffverarbeiter, plötzlich nur noch grüne DNA atmen sollten – und das im Gegensatz zu allen anderen Wettbewerbern natürlich schon immer.
Das Marketing wird nach vorn geschickt
Doch Tatkraft war gefragt, denn der Umgang mit der Klimakrise erforderte eine Haltung. Schließlich rückten die beunruhigenden Auswirkungen näher. Klima fand plötzlich nicht mehr nur in Bangladesch, Kalifornien oder auf Haiti statt, sondern vor der eigenen Haustür. Mit Starkregen, Dürreperioden und schmelzenden Gletschern. In vielen Unternehmen wurde erst einmal das Marketing und die Kommunikation nach vorn geschickt. Ein grünes Image musste her, denn die Verbraucher verlangten Antworten. Besonders die junge Generation. Das wirkte teils stimmig, teils erzwungen. Wobei aber ausdrücklich betont sein soll: Authentische Motivation und tatsächlich vollzogene Umsetzungen stehen nicht unter dem Generalverdacht, Greenwashing zu betreiben.
Absurder Kampf gegen alles „Grüne“
2023 ist zwei Jahre her. Eine gefühlte Ewigkeit. Grün hat an Strahlkraft eingebüßt und wird in manchen Kreisen geradezu feindselig bekämpft. Menschen, die gestern noch in den Wald gingen und Bäume umarmten, klammern sich heute an Grenzpfähle. Man fragt sich, warum? Die Auswirkungen unbedachten und teils auch gewissenlosen Wirtschaftens und Konsumierens der letzten Jahrzehnte haben nichts an Brisanz eingebüßt. Das Klima meldet sich zu Wort und in der Folge ein Artensterben, das die Lebensgrundlagen der Spezies Mensch auf diesem Planeten bedroht und alles Bekannte und Gewohnte grundlegend verändern kann. Was ist nur los? Sind die Herausforderungen für die Krisenresilienz der Menschheit zu groß? Fast scheint es so. Anders ist der absurde Kampf gegen alles „Grüne“ in weiten Teilen der Gesellschaft nicht zu erklären. Andererseits gibt es gerade viele weitere Krisen und Unsicherheiten, die beunruhigen und um die man sich kümmern muss. Irgendwann ist das Maß einfach voll und die Verdrängung wird zum psychischen Überlebensmodus. Das ist nur allzu menschlich. Es erklärt aber nur schwer die Schärfe der Ablehnung im Umgang miteinander, das Verhöhnen, Verunglimpfen und Polarisieren.
In Summe immer spürbarer
Ein Taschenspielertrick aus Kindertagen kommt in den Sinn. Man muss sich nur die Hände vor das Gesicht halten und schon ist die Realität ausgelöscht. Das hat offen gesagt noch nie gut funktioniert, aber im Geschäftsleben schon gar nicht. Die Wirtschaft befindet sich längst auf dem Weg eines grundlegenden Wandels. Materialien, die ohne fossile Rohstoffe hergestellt werden, lange nutzbar und recycelbar sind, werden zur Normalität. Die PV-Anlage auf dem Firmendach auch. Vielleicht nicht überall und nur in Teilen, aber in Summe immer spürbarer. Klug kalkulierende Unternehmenslenker haben längst erkannt, dass „grünes Wirtschaften“ keine Frage des Parteibuchs, sondern der Wirtschaftlichkeit ist. Mögen manche Investitionen im ersten Schritt auch schmerzhaft sein, wer morgen und übermorgen noch am Markt sein will, betrachtet besser das Ganze.
Klare Sicht auf das, was zählt
Im Küchen- und Möbelhandel wird gerade nicht viel über Nachhaltigkeit geredet. Liegt es an der Umsatzkrise der vergangenen zwei Jahre? Oder daran, dass viele Umsetzungen längst im Alltag der Industrie angekommen sind? Antworten darauf wird im Mai die interzum 2025 geben. Die Leitthemen sind die gleichen wie vor zwei Jahren: „Biobasierte Materialien“ und „Kreislaufwirtschaft“. Die Richtung ist also klar. Aber wir können sicher sein, dass noch genügend Raum für Funktion, Design, Komfort und Emotion bleibt. Sofern nicht wieder Tausende von Topfpflanzen die Sicht versperren.
Dirk Biermann
Chefredakteur KÜCHENPLANER, print & online