Die Vielfalt filtern
Es ist einer dieser abstrakten Begriffe, die kein lebendiges Bild im Kopf entstehen lassen. Obwohl wir natürlich längst alle wissen, was mit Individualisierung gemeint ist. Kurz gesagt: Immer mehr Varianten. Oft reduziert sich die Umsetzung auf die Optik. Verschiedenfarbiges Glas für die Backofenfront, Hauben mit Dekoreinlage im Design der Möbelfronten oder auch ganz anders, Nischenverkleidungen bedruckt mit Motiven nach Wahl oder aus eigener fotografischer Inspiration, verschiedenartig oberflächenbehandelte Gitter für die Abdeckung des Muldenlüfters, Spülen in allen gängigen Trendfarben, flächenbündig, ein- oder untergebaut, ganz flach oder markant erhaben, Armaturen mit oder ohne Schlauchbrause, das Gesamtdesign der Einrichtung grifflos, mit angedeuteter Mulde oder mit einem ordentlichen Griff – und natürlich die Möbelfront an sich, deren Oberfläche in allen RAL- und NCS-Farben zu glänzen verspricht. Theoretisch. Weiß oder Hellgrau gehen natürlich auch. In Lack, Schichtstoff, Melamin oder Lacklaminat. Die Liste der aktuellen Küchenvielfalt speist sich aus allen Produktgattungen und ließe sich gefühlt ewig fortsetzen. Die Botschaft dahinter klingt verlockend: „Keine Küche muss mehr der anderen gleichen, alles wird zum Unikat – ganz persönlich, ganz individuell – nur für Dich!“ Die Follower bei Facebook, Pinterest und Instagram werden Augen machen.
Zwischen Entzücken und Verzweiflung
Es soll Menschen geben, die ihrer Persönlichkeit ganz besonders gern über den Konsum Ausdruck verleihen. Für die ist diese endlose Zahl an Möglichkeiten ein Zustand wie im Paradies kurz vor der Sache mit dem Apfel. Andere fühlen sich mitunter der Verzweiflung nahe angesichts des Auswahlmarathons, der nicht mehr nur langlebige Investitionsentscheidungen begleitet wie Haus, Auto oder eben Küche, sondern alltäglichste Lebensbereiche durchwirkt und an der Käsetheke ebenso anzutreffen ist wie im Getränkemarkt, an der Kleiderstange im Textilfachgeschäft, im Brillen- und Schuh-Shop und an den Verkaufsauslagen der Drogeriediscounter. Digital wie stationär. Dass die herkömmliche Kaffeepause längst einem Verhör gleicht, daran haben wir uns gewöhnt. Doch da wir oft nicht nur zeitkonform agierende Persönlichkeitsoptimierer sind, sondern auch herkömmliche Menschen mit arttypischen Macken und Begrenzungen, kann uns dieses Auswahlverfahren in der Endlosschleife zu schaffen machen. Und dann reichen schon leichteste Ansprüche an unsere Entscheidungsfähigkeit und wir hören uns sagen: „Danke, ich werde es mir überlegen und komme morgen noch mal rein.“ Digital wie stationär. Und Tschüss.
Den Kunden begleiten
Soweit will es im Küchenplanungsgespräch niemand kommen lassen, und deshalb war es schon immer ein Erfolgsfaktor, den Küchenkäufer nicht allein zu lassen mit den 1001 Möglichkeiten, die der Markt bietet. Ein kluger Schachzug. Und mehr denn je lautet die Devise: Je größer die Vielfalt, umso wichtiger die fachliche fundierte Filterfunktion. Auf schnellen Umsatz bedachte Küchenverkaufsstellen geraten da schnell an ihre natürlichen Grenzen. Kundenorientierte Küchenspezialisten hingegen können sich mit Beratungskompetenz, ausgesuchter Positionierung und konkreten Auswahlempfehlungen profilieren.
Zumal die Möglichkeiten weiter wachsen. Das hat uns die Interzum deutlich gemacht. Begleitet von dem Eindruck: Die Attraktivität, die ein Möbels für den jeweiligen Nutzer hat, entscheidet sich immer häufiger hinter der Front. Das mag jetzt anstrengend klingen – kann aber auch begeistern und einfach nur Spaß machen. (Dirk Biermann)
Dieser Beitrag ist als Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 5/6 2017 erschienen. Was hat Ihnen auf der Interzum gut gefallen? Oder auch gar nicht? Gern veröffentlichen wir Ihre Lesermeinung. Schreiben Sie mir: Per Mail an meinemeinung@kuechenplaner-magazin.de oder auch auf Facebook unter www.facebook.com/kuechenplaner.magazin.