Alkohol ist keine Lösung
„Hell soll sie sein und günstig, der Rest ist egal.“ Bei Arbeitsaufträgen wie diesen meldet sich das Seelen-Doppel reflexartig. „Das kriegen wir irgendwie zurechtgezimmert“, antwortet die eine mit mattem Blick und beginnt in Gedanken die gängigen Typennummern herunterzuleiern; „nicht schon wieder Küchen-Monotonie“, stöhnt die andere – rauft sich die Haare und beruhigt sich mit zwei, drei tiefen Zügen Doppelherz. Doch Alkohol ist keine Lösung. Selbst ein 17%iges „Energie-Tonikum“ führt irgendwann ins Verderben und man beginnt, sämtliche Farben des RAL-Fächers nur noch in Magnolie zu sehen. Im fortgeschrittenen Stadium sogar doppelt. Was die Sache nicht besser macht.
Erfreulicherweise gibt es Messen wie die Küchenmeile und deren angeschlossenen Ausstellungen. Solche Veranstaltungen sind unter den oben geschilderten Zusammenhängen eine Art persönliche Gesundheitsvorsorge für Küchenplaner- und -Händler: Erquicken sie die Fachwelt doch mit immer neuen Impulsen, Ideen und Beispielen, was sich alles anstellen lässt mit Holz, Edelstahl, Kunststoffen, Stein, Keramik und weiteren Materialien – wenn man will. Und wie sich alles so präsentieren lässt, dass die Kunden entzückt verharren, weil sie sich verstanden fühlen mit ihren Bedürfnissen – wenn man mag.
„Nun, ja“, mäkelt der Kritiker, „so richtig neu erfinden lässt sich die Küche ja nicht von einem Jahr auf das andere.“ „Zum Glück!“, möchte man dem Quengler entgegnen und ihn herzlich drücken. Denn die Grundlage stimmt längst. Die Einbauküche, wie wir sie kennen, ist ein wunderbar ausgereiftes Produkt. Verbesserungen im Detail und die Umsetzung neuester Verfahrenstechnik müssen natürlich sein, sonst blüht der Grünspan allzu üppig an der Melaminoberfläche. Dann hat selbst der kreativste Verkäufer Schwierigkeiten, die dunkle Eiche 2012 von der dunklen Eiche 1982 zu unterscheiden – geschweige denn, sie als neuesten Designtrend verkauft zu bekommen.
Was hat die Küchenmeile nun gebracht an neuen Ideen und Trends? Auf einen Nenner gebracht: Alles, was im Detail zum Kombinieren einlädt und dem Arbeitsraum Küche zu einem wohnlichen Charakter verhilft. Aktuell sind das Retro-Farben für den punktuellen Kontrast, Materialien wie Glas und Keramik sowie immer eindrucksvollere naturnahe Nachbildungen in erdigen, steinigen und metallischen Tönen. Paneelwände kommen hinzu, Regale mit und ohne Licht gleichfalls.
Die Küchentrends 2013 allein an der Optik festzumachen, geht jedoch am Kern dessen vorbei, was in diesem Jahr rechts und links der A30 dominierte. Am gestalterischen Detail wurde zwar erneut kreativ gefeilt, in den Mittelpunkt gerückt wurde jedoch oft die Technik. So setzen die großen Küchenhersteller noch intensiver auf die Komplettvermarktung mit Elektrogeräten – und dabei immer häufiger auf exklusive oder zumindest internetfreie Eigenmarken.
Die wahren Stars der diesjährigen Hausmessen waren indes hinter der Front daheim. „Mit Technik und Ausstattung differenzieren“ ist für immer mehr Küchenmöbelhersteller das Gebot der Stunde. Gleich in mehreren Ausstellungen wurden die verschiedenen Auszugssysteme und deren Flexibilität bei Ausstattung und Montage thematisiert. So viel Beachtung haben sanft dahingleitende Schubkästen und mühelos schwingende Oberschrankklappen schon lange nicht mehr genossen. Es wurde auch Zeit, denn viel zu selbstverständlich wurden die technischen Höchstleistungen moderner Bewegungssysteme in der Küche als gegeben vorausgesetzt und als Argument weit unter Wert verkauft.
Wenn die gängige Optik vieler Küchen immer austauschbarer wird, braucht es emotionale Themen, um ins Gespräch zu kommen. Wenn der Küchen kaufende Kunde dann fragt: „Gibt’s die auch in Weiß?“, kann der Küchen verkaufende Händler parieren: „Logisch – und tolle Schubkästen haben wir auch.“
Fordern Sie Ihre Lieferanten. Viel Spaß beim Kombinieren und Erfolg beim Differenzieren, wünscht
Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@kuechenplaner-magazin.de