Einfach zu erfolgreich
Dass Messen funktionieren, steht außer Frage. Digitale Formate mögen technisch faszinierende Ergänzungen sein, aber dieses einsame Gehocke vor dem Computer und das Geklicke bis zum Tennisarm bringt auf Dauer nichts. Zu wenig Austausch, zu wenig menschliches Miteinander, zu wenig sinnliches Erleben. Auch den Herstellern spielt das lebendige Vorort-Spektakel in die Karten. Messen sind nicht nur Treffpunkt und Produktschau, sondern auch Medien- und Social-Media-Booster und damit millionenfacher Impulsgeber. All das fällt für die nationalen Möbelhersteller vorerst flach. Nach intensiven Gesprächen mit den wichtigen Branchenverbänden hat die Koelnmesse entschieden, die Januar-Ausgabe der imm cologne 2025 auszusetzen. Hauptgrund ist das schwierige wirtschaftliche Fahrwasser für deutsche Möbelhersteller, was laut Koelnmesse zu einer „nachvollziehbaren Budgetzurückhaltung“ führt. Sprich: Die Möbelumsätze sind gerade derart dürftig, dass kein Geld für Messe übrig ist. Jedenfalls nicht für die in Köln.
In der Küchenbranche sind die Reaktionen verhalten. Zwar drückt der BVDM (Handelsverband Möbel und Küchen) via Pressemitteilung sein Bedauern aus, doch viel mehr war nicht zu hören. Was aber auch nicht wundert. Köln und die Küche waren trotz der guten Rahmenbedingungen des Messestandorts nie eine Liebesbeziehung von Dauer. Mal lief es einige Jahre gut (imm cuisinale), mal sogar sehr gut (LivingKitchen), dann folgte stets der Absturz. Zuletzt tauchte der Begriff Küche in den Publikationen der Koelnmesse gar nicht mehr auf. Matthias Pollmann, der in Köln für alle Einrichtungsmessen weltweit zuständig ist, ließ auf der AMK-Mitgliederversammlung im März zwar noch alle Türen offen und gab sich berufsbedingt zuversichtlich („Wir haben noch viele Konzepte im Köcher“), aber schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es eine LivingKitchen wie vor Corona nicht mehr geben würde. Dass nun auch die Muttermesse imm abgesagt wurde, kann der Küchenbranche daher egal sein. Man wäre ohnehin nicht dabei gewesen. Aber warum eigentlich nicht? Warum fühlt sich eine Branche, die sich so sehr als Teil oder gar Mittelpunkt des Wohnens versteht, auf einer bedeutenden Einrichtungsmesse wie der imm cologne so wenig zugehörig? Dafür gibt es sicher viele Gründe. Der gravierendste heißt Küchenmeile. Die Hausmessen der Küchenmöbelhersteller im September und die parallelen Fachmessen sind einfach viel zu erfolgreich, als dass eine Einrichtungsmesse drei Monate später die nötige Strahlkraft entfalten könnte. Egal, wo sie stattfindet, ob mit separater Küchenausstellung oder integriert ins große Ganze. Zudem ist eine Hausmesse kostenintensiv und fordert die meist mittelständischen Unternehmen organisatorisch bis an die Grenzen des Machbaren.
Die Küchenmeile boomt und wächst unvermittelt. Dass der jüngste prominente Neuzugang, Hausgeräteleader Bosch, sich gleich für fünf Jahre in der Architekturwerkstatt eingemietet hat, ist ein Statement. Wer die Küchenspezialisten erreichen will, muss nach Ostwestfalen. Doch wie geht diese Erfolgsgeschichte weiter? Genügen die teils unkoordiniert laufenden Strukturen der verschiedenen Veranstalter, um den wachsenden Ansprüchen gerecht zu werden? Es soll ja alles internationaler werden. Aber vielleicht ist diese eigentümliche organisatorische Vielfalt sogar der USP der Küchenmeile. So etwas gibt es sonst nirgends. Von einem Besuch in Mailand schwärmen schließlich auch viele (gewagter Vergleich! Anm. d. Redaktion). Vielleicht aber auch nur, weil sie froh sind, unbeschadet wieder heimgekehrt zu sein. Allein die Transportwege sind oft eine Zumutung. Und die überfüllten Ausstellungen. In Mailand kann man sich wie eine Ölsardine in der Büchse vorkommen. In Ostwestfalen sitzt man wenigstens allein oder maximal in Kleingruppen im Auto und hat viel Luft zum Atmen, während man sich fragt, wie um Himmels willen man nach Schnathorst geraten ist und wie weit es von dort zurück nach Löhne ist.
Um den Erfolg der Küchenmeile nachhaltig zu stärken, sollten die führenden Küchenmöbelhersteller vielleicht den Ausbau ihrer Kapazitäten überdenken. Weniger Küchen, dafür Betten in Hotels und Gästehäusern. Die Ausstattung dafür gibt es hoffentlich bald wieder auf einer imm in Köln zu sehen.
Dirk Biermann
Chefredakteur KÜCHENPLANER print & digital
Dieser Text erscheint heute als Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 10/11 2024. Die Ausgabe berichtet auf 100 Seiten von vielen Themen und Neuheiten der Küchenmeile und der IFA. Empfängerinnen und Empfänger des KÜCHENPLANER-Newsletters haben bereits seit letzter Woche Zugriff auf die Ausgabe. Hier können Sie sich für den kostenfreien und jederzeit kündbaren Newsletter anmelden: www.kuechenplaner-magazin.de/newsletter/anmeldung/anmeldeformular/