05.09.2023

Einfache Antworten auf komplexe Fragen. Das klingt verlockend. Doch oft führt die übertriebene Zuspitzung nur tiefer in den Schlamassel.

 

Dirk Biermann, Chefredaktion KÜCHENPLANER online/offline

Ich hatte einen Traum und der war merkwürdig. Ich sehe einige führende Köpfe der Küchenmöbelindustrie gemeinsam auf einer Bühne stehen und zu Menschen sprechen, die sich in einer riesigen Fabrikhalle versammelt haben. nobilia, Häcker, Schüller und andere – alles eins. Es riecht nach Holz und jemand ruft in die Menge: „Wenn ihr wollt, dass wir auch morgen und übermorgen noch Küchen produzieren und erfolgreich und ohne Hemmnisse auf der ganzen Welt verkaufen können, dann überlegt euch gut, was ihr als Alternative anseht und wo ihr euer Kreuz macht.“ In diesem Moment wache ich auf und wundere mich. Eigentlich über mehrere Dinge: 1. Wann haben nobilia, Häcker und Schüller fusioniert, ohne dass ich davon etwas mitbekommen habe? 2. Wo um alles in der Welt steht diese riesige Fabrik? Und 3.: Wie komme ich auf diesen Blödsinn?

Dieses Ereignis ist frei erfunden. Die Grundidee entstand jedoch aus einer konkreten Situation heraus. Nachdem ich die Berichterstattung über eine Parteiversammlung verfolgt hatte und dort von der Abschaffung der EU die Rede war. Alles zurück auf null. Bewachte Grenzen, penible Einreisekontrollen, kilometerlange Lkw- und Container-Staus. Und wenn es in diesem Europa der Nationalstaaten sein muss, auch mit Importzöllen, um die deutsche Wirtschaft vor internationalen Angriffen zu schützen. Sollen die Chinesen doch sehen, wo sie mit ihren Chips bleiben.

„Vielleicht etwas zu einfach gedacht“, erwog ich im Stillen. Die abgeschottete Exportnation Deutschland. Was das wohl für Folgen hätte. Gerade in der Küchenindustrie, die sich erst dank ihrer europäischen Aktivitäten so erfolgreich entwickeln konnte. Rückzug ist keine Lösung. Zumal diese Abschottungstendenzen nicht an den Landesgrenzen haltmachen, sondern auch den menschlichen Geist beschränken. Mit klaren Feindbildern und einer radikalen Ausgrenzung von allem, was nicht zwischen die Scheuklappen passt.

Die aktuelle Situation ist in der Tat kompliziert. Politisch und sozial, ökologisch und ökonomisch. Und die Sorgen der Menschen und Unternehmen sind real. Die gegenwärtigen Probleme jedoch verkürzt auf einzelne Politiker, Bevölkerungsgruppen oder die (durchaus reformwürdige) EU zu schieben, ist nicht nur inhaltlich unzureichend, sondern geradezu ein Angriff auf die Intelligenz. Einfach „gegen alles zu sein“, trägt nicht zur konstruktiven Problemlösung bei.

Momentan läuft es unrund. Auch die viele Jahre verwöhnte Küchenbranche spürt eine ungewohnte Flaute jenseits saisonaler Schwankungen. Bei einigen Unternehmen wirkt sich dies kaum aus, bei einigen moderat und bei einigen mit regelrechten Einbrüchen.

Was in Summe gerade so zu schaffen macht, ist hinlänglich bekannt. Es ist ein vielschichtiger Mix aus Resten der Pandemie (Lieferketten, Rohstoffpreise), Russlandkrieg in der Ukraine (Energiepreisschock, drohende Gasmangellage, Inflation, Verunsicherung der Konsumenten), Baukrise (massiv gestiegene Materialkosten), Investitionswettbewerb (Heizung, Reisen, Auto), vorgezogenen Cocooning-Investitionen und demografischem Wandel (Hauptursache des Fachkräftemangels).

Diese unübersichtliche Situation trifft auf ein bestelltes Feld. 1. Auf Auswirkungen zahlreicher politischer Entscheidungen der letzten zwei Jahrzehnte (wie die bewusst eingegangene Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland). 2. Auf einen unklaren Politikstil, der sich in Regierung und Opposition in Grabenkämpfen festbeißt. 3. Auf eine historisch gewachsene, verkrustete Bürokratie, die schnelle Entscheidungen erschwert. 4. Auf Medienschaffende, die destruktiv emotionalisierten Verriss als investigative Leistung verkaufen. 5. Auf Medienkonsumenten, die auf alles klicken, was grob, schlüpfrig und blutig ist und die Bashing für politische Teilhabe halten. Und 6. auf das eigene strategische Verhalten.

Im Ergebnis sind wir mit ineinander verschlungenen Problemkreisen konfrontiert, denen einfache Antworten nicht gewachsen sind.

Am 16. September beginnt die Küchenmeile. Ich hoffe auf einen lebendigen Austausch und viele gute Ideen.

Dirk Biermann
Chefredaktion KÜCHENPLANER online/offline

 

Nachtrag zum Artikel in der Printausgabe
Im Beitrag heißt es fast ganz am Schluss "Im Ergebnis sind wir mit ineinander verschlungenen Problemkreisen konfrontiert, denen einfache Antworten nicht gewachsen sind." Ich möchte ergänzen um "einfache und vorschnelle" Antworten. Auch gute Lösungen können natürlich durch eine gewisse "Einfachheit" überzeugen. Kompliziert wird es meist bei der Kombination von "einfach, vorschnell und dogmatisch getriebener Rechhaberei". Dirk Biermann