25.06.2021

Meine Mutter hatte mich gewarnt. Zu viel Fernsehen macht viereckige Augen. Hätte sie gewusst, was bei einer digitalen Messe alles auf einen zukommt, hätte sie sich wegen 90 Minuten Winnetou nicht so aufregen müssen. Das Editorial aus KÜCHENPLANER 5/6 2021.

Dirk Biermann, Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline

Die erste Woche im Mai hatte es in sich. Mit der interzum und der küchenwohntrends/möbel austria fanden parallel zwei relevante Messen statt. Ursprünglich sollten sich in Köln und Salzburg die Messetore öffnen, aber wegen der Pandemie blieben diese bekanntlich verschlossen. Stattdessen ab ins Netz: Produktvorstellungen der Aussteller, Video-Meetings, Online-Pressekonferenzen und Live-Referate via Zoom oder Teams zu allem, was die Branchenlage hergibt und interessant macht. Eng getaktet. Trends, Digitalisierung, Urbanisierung, Hygiene, Materialengpässe, Nachcoronazukunft. Und Nachhaltigkeit auf allen Kanälen. Die Industrie hat ihr grünes Herz entdeckt und präsentiert sich damit der Welt digitalkonform in der heimischen Greenbox.


Was die Messeveranstalter Koelnmesse und Trendfairs coronagetrieben auf die Beine gestellt haben, fordert höchsten Respekt. Ebenso weitere Einzelpräsentationen wie von Blum, Hettich, Kesseböhmer, Vauth-Sagel, Häfele oder Schüco. Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme waren gegeben, Themen wurden plastisch transportiert. Es lief nicht immer alles rund, doch wann tut es das schon, wenn Technik und Mensch zusammenkommen? NATÜRLICH kann keine Internet-Plattform mit dem realen Messegeschehen mithalten, und sei sie noch so ausgefeilt, doch als Zweitlösung haben diese Angebote gut funktioniert. Und der Wert der gesteigerten Reichweite ist noch gar nicht erfasst.
Reine Digitalmessen, da sind wir uns wohl alle einig, sind nicht das, was wir uns wünschen. Aber sie sind besser als nichts und müssen in der jetzt gesehenen Qualität erstmal realisiert werden. Deshalb mein ehrliches Kompliment an alle Veranstalter, ob aus dem Kreis der Unternehmen oder der Messegesellschaften.
Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Begleitet von verspannten Schultern, glasigen Augen und schmerzenden Schläfen. So faszinierend die internetgestützten technischen Möglichkeiten auch sein mögen, der Mensch ist nicht dafür gemacht, tagelang und über viele Stunden am Stück vor einem Bildschirm zu kleben und mit einem kleinen grünen Punkt zu kommunizieren. Das ist künstlich und ermüdend. Wofür keins der digitalen Messeangebote etwas kann, aber es zeigt die natürlichen Grenzen der virtuellen Präsentationsformate auf. Wobei jede digitale Veranstaltung für sich nicht das Problem ist. Erst in der Summe wird es kompliziert, weil die Intensität dieses digitalen Grundrauschens kaum noch zu verarbeiten ist.


Oft werden einfach zu viele Informationen transportiert. Manche Unternehmen wollen in kurzer Zeit möglichst die gesamte Bandbreite an Botschaften unterbringen, statt sich auf die wichtigsten Neuigkeiten zu beschränken und diese auch deutlich zu kennzeichnen. Das ist aber nötig, damit die wirklich wichtigen Dinge bei den Nutzern und Nutzerinnen hängen bleiben. Denn die nächste Unternehmensdarstellung ist nur wenige Klicks entfernt. Eine zielführende digitale Präsentation ist so prägnant wie eben möglich. Was ähnlich auch für das Rahmenprogramm einer Messeplattform gelten könnte.


Der Marathon von zwei parallelen Digitalmessen fordert seinen subjektiven Tribut. Körper und Geist sind ausgelaugt und verlangen nach Ruhe und Reizarmut. Ob auf Kabel1 gerade Winnetou III läuft?
 

Dirk Biermann
Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline