„In mir stecken 74 Jahre Küche“
Was hat die Küche bei Ihnen für einen Stellenwert?
Die Küche ist das Herz des Hauses. Das war schon in meiner Kindheit so. Mein Vater hatte eine große Schreinerei und unsere Köchin hatte bereits 1950 eine sehr moderne Küche, die bei uns hergestellt worden war. Die Küche hatte durchgehende, mit Linoleum belegte Arbeitsplatten, eine Doppelbeckenspüle aus Terrazzo. An einer Wand standen zwei große Gasherde und in einer Ecke ein großer Eisschrank. Meinem Vater allerdings war die Kücheneinrichtung nicht so wichtig. Ihm kam es darauf an, was auf dem Tisch stand. Daher gab es für die ganze Familie, Köchin und Kindermädchen jeden Tag ein Drei-Gänge-Menü. Und für unvorhergesehene Gäste stand immer ein weiteres Gedeck auf dem Tisch.
Wie sind Sie dann in die Küchenbranche gestartet?
Das fing in der heimischen Schreinerei quasi schon an. Ich habe schon als Kind mit meinem Vater zusammen die Produktion von Resopal besichtigt. Nach meiner Schreiner-Ausbildung bin ich für vier Jahre zur Marine gegangen. Auch dort spielte das Essen eine wichtige Rolle. Ich hatte in jeder Stube einen Zweiplatten-Kocher für Notfälle. Der Smutje war mein bester Freund, denn der konnte zu jeder Tag- und Nachtzeit in die Kajüte gehen. Nach der Marinezeit war ich in Kiel als Küchenmonteur tätig. Anschließend leitete ich die Küchenabteilung bei einem Sanitärgroßhändler. 1988 habe ich mich mit einem Küchenstudio selbstständig gemacht. In dieser Zeit bat mich ein Bekannter um die Planung einer Küche. Die Größe sei egal, er würde das Haus so planen, dass die Küche hineinpasst. Nachdem er den Plan gesehen hatte, bestellte er die Küche. Und die wurde dann im Seecontainer nach Gran Canaria geliefert. Heute ist dieser Mann mein bester Freund und wir haben Hunderte Küchen auf die Kanaren geliefert, meist für Hotelanlagen oder Eigentumswohnungen.
Solche Geschichten haben Sie sicherlich oft erlebt.
Ein Kunde aus der Region gab eine größere Küche für ein Gebäude im Sauerland in Auftrag. Die 85 000 DM teure Küche haben wir eingebaut. Nach ein paar Monaten kam der Vater der Käuferin und bat um den Einbau einer Küche im Keller, damit seine Tochter auch wirklich kocht. Die obere Küche war sozusagen eine reine Showküche. Wir haben auch mal eine 10 Zentimeter starke Betonarbeitsplatte mit integriertem Spülbecken gefertigt. Die war so schwer, dass wir einen Kranwagen bestellen mussten, um sie ins 1. OG zu schaffen.
Wie haben sich die Küchen seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts geändert?
Mitte der 50er waren die Küchen meist weiß, sonnengelb, hellblau oder grün und mit Alugriffleisten versehen. Die bestimmenden Marken waren damals Rational, Poggenpohl oder Alno. Und überall fand man den brandneuen Kunststoff Resopal. Beliebt war auch die Frankfurter Küche. In den 60er- und 70er-Jahren stiegen die Ansprüche. Die Küchenfronten wurden heller, verfügten teilweise über Holzstruktur. Zu den beliebten Elektrogeräten gehörte ein 88er hoch eingebauter Backofen und eine Mikrowelle durfte auf keinen Fall fehlen. Mein Renner in den 80er-Jahren waren Rational-Küchen in Esche weiß Struktur, teilweise glatt, teilweise mit aufgesetzten Kassettenleisten.
Heute möchte jeder eine offene Küche haben, meist mit einer Insellösung und ohne sichtbare Dunstabzugshauben. Dazu muss ich sagen, dass wir für Muldenlüfter nicht viel übrighaben. Wir verplanen Dunstabzugshauben oder Lüfter, die hinter dem Kochfeld hochfahren. Zwar stellen wir Muldenlüfter aus, aber die sollen eher der Abschreckung dienen.
Sind die Kunden heute anspruchsvoller?
Die Kunden geben heute mehr Geld für das Wohnen aus. Heute werden schon mal 120 000 Euro für eine Küche in einem Ferienhaus ausgegeben. Das sind aber eher die Ausnahmen. Diese Leute brauchen wir natürlich, aber unser Kerngeschäft liegt heute bei Küchen für 20 000 bis 30 000 Euro. Gleichzeitig sind die Ansprüche gestiegen. Man achtet mehr auf Qualität.
Es gibt natürlich auch Kunden, die sich beschweren. Aber die Industrie kommt mit den Reklamationen nicht hinterher. Insbesondere die Elektroindustrie hat Lieferschwierigkeiten. Wir warten zum Teil ein Jahr auf einen Kühlschrank. Dann bauen wir den Kunden schon mal Leihgeräte ein. Und bei jeder zweiten Küche müssen wir noch mal los, um Reklamationen zu beseitigen – wie Maßungenauigkeiten oder Lieferschäden. Zum Glück haben wir unsere eigene Werkstatt mit neun Fachkräften, da können wir flexibel auf Reklamationen reagieren und auch Sonderanfertigungen machen. Wir arbeiten generell nur mit eigenen Leuten, nicht mit Subunternehmen. Übrigens richten wir auch Arztpraxen ein, denn dort stehen die gleichen Schränke wie in der Küche.
Was ist heute besonders bei Ihnen gefragt?
In unseren Ausstellungen gibt es für jeden Geschmack etwas- außer Küchenfronten mit Folien. Die Sonneneinstrahlung kann die Folien lösen. Und das können wir als Tischler nicht zulassen. Heute gehören ein 0°-Zonen-Kühlschrank, Dampfgarer, Induktionsherd, pflegeleichte Keramikspülen sowie Arbeitsplatten aus Granit oder Kunststein in die Küche. Wir würden gerne mehr Holzarbeitsplatten einbauen, aber da Neubauten heute viel zu nass bezogen werden, funktioniert das nicht, da das Holz zu sehr arbeitet. Bei Küchenmodernisierungen nutzen wir Massivholzplatten aber sehr gerne. Eine unserer Spezialitäten sind Werkbänke mit eingebauten Spülbecken und Vollflächen- Induktionsfeldern. Die verkaufen wir mindestens einmal im Monat.
Was braucht man so gar nicht in der Küche?
Meiner Meinung nach gehört ein Müllhäcksler nicht in die Küche und auch einen Thermomix braucht man nicht unbedingt, ebenso wie einen mit einer Kamera ausgestatteten Ofen.
Sie sind vor Kurzem nach 50 Jahren in der Küchenbranche in den Ruhestand gegangen und Ihr Sohn Christian hat die Geschäftsführung übernommen. Zieht es Sie noch ab und zu in den Küchenspeicher?
In mir stecken 74 Jahre Küche. Das kann man nicht einfach abstreifen. Und ja, ich bin immer noch sporadisch da.
Sybille Hilgert
Völlig subjektiv
Mit unserer Serie „Mein Blick auf Küche“ stellen wir in loser Folge Menschen vor, für die der Lebensraum Küche eine besondere Bedeutung hat. Und dabei unterschiedlichen Perspektiven folgen. Je subjektiver, desto besser.