22.10.2015

Jeder macht überall von allem Fotos. Egal, ob mit dem Smartphone, dem Tablet oder der Spiegelreflexkamera. Der fleißigste Fotograf von allen war während der IFA aber kein Journalist, Händler oder Privatinteressierter - sondern ein mit zwei Innenkameras ausgestatteter Kühlschrank von Siemens. Der „iQ500“ steht als eine Art Sinnbild für den vernetzten Haushalt. Ein einheitlicher technischer Standard dafür ist jedoch weiterhin nicht in Sicht. Von Astrid Plaßhenrich

Auch bei Samsung drehte sich auf der IFA alles um das Thema der Themen – die Vernetzung. Foto: Plaßhenrich

Eines der Highlights der IFA und Publikumsmagnet: Siemens „iQ500“ A++ Kühl-Gefrier-Kombination mit zwei Kameras. Eine davon ist hier in der Kühlschranktür oben zu sehen. Foto: Plaßhenrich

Es war egal zu welchem Zeitpunkt man den Siemens-Messestand besuchte, der Kühlschrank „iQ500“ wurde permanent geöffnet und wieder geschlossen. Und jedes Mal gab’s zwei Fotos, die postwendend auf ein angemeldetes Endgerät gesendet wurden. Schwerstarbeit für Kameras und Beschläge. Siemens-Geschäftsführer Roland Hagenbucher war stolz, in Berlin nun ein vernetztes Vollsortiment von Siemens vorstellen zu können. Der Kühlschrank mit den Kameras, Kaffeevollautomat und Waschmaschine waren die letzten Bausteine, die dazu noch fehlten. „Wir sind der Branche voraus“, sagte er und wirkte sichtlich zufrieden.
Hagenbucher begrüßte die IFA-Gäste in diesem Jahr in einem vernetzten Apartment auf dem Messestand. Womit deutlich wurde, dass die Zukunft längst eingezogen ist. Wie die Vielfalt der Konnektivität im Alltag konkret aussehen kann, konnten die Besucher aber auch bei AEG erleben. Eine Tour durch ein begehbares Modell einer durchgehend vernetzten Wohnung, zeigte die Gegenwart und die Zukunft des Wohnens. Auch Bauknecht präsentierte auf seinem Messestand eine solche vernetzte Wohnlandschaft.

Energieeffizienz abgelöst
„Smart Home“ war das zentrale Messethema während der IFA und rückte den großen Komplex der Energieeffizienz in der Wahrnehmung vieler Besucher in eine Nebenrolle. Obwohl die Energieeffizienz immer noch ein enorm wichtiges Thema ist, das von jedem Konzern mit größter Sorgfalt behandelt wird.
Ein Beispiel: Mehr als die Hälfte der von Januar bis Juni 2015 verkauften Waschmaschinen erfüllte die höchsten Ansprüche der Klasse A+++, wie Miele-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied des Verbandes ZVEI, Reinhard Zinkann, bei der Eröffnungspressekonferenz der IFA berichtete. Die Premiumhersteller werben gar mit Aussagen wie „A+++ minus 40 Prozent“. Insgesamt seien bei der weißen Ware im ersten Halbjahr 2015 etwa 23 Prozent mit dem Standard A+++, 28 Prozent in der Kategorie A++ und 36 Prozent im A+-Bereich verkauft worden.
Solche Zahlen, Daten und Fakten werden gerne kommuniziert. Sie werden auch wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber sie rufen keinen Wow-Effekt mehr hervor. Denn die neuen Geräte müssen Energieeffizienz bieten. Das ist Standard, um den kein Unternehmen mehr herumkommt. Dazu müssen sie aber auch leise und im besten Falle internetfähig sein. Denn die Industrie sieht in „Smart Home“ einen Wachstumsmarkt und erwartet bis 2020 dreimal so viele vernetzte Haushalte wie heute. Doch selbst das wären dann noch nicht einmal 3 Prozent aller Haushalte.

Vernetzung spart Strom
Dass Energieeffizienz und Vernetzung immer häufiger eine Schnittmenge haben können, zeigt die „FlexStart“-Funktion von Bosch und Siemens. Die richtet sich an Haushalte, die einen größeren Teil des Stromverbrauchs mit eigener Energieerzeugung decken, zum Beispiel per Photovoltaik. „FlexStart“ arbeitet mit einem vom Stromanbieter zur Verfügung gestellten Energiemanager zusammen. Basierend auf dessen Daten berechnet die Funktion den optimalen Startzeitpunkt. Der Nutzer legt zuvor ein mögliches Zeitfenster fest.
Bei der Programmauswahl hilft die Funktion „EasyStart“, die es bereits für Waschmaschinen und Trockner gegeben hat und nun auch für vernetzungsfähige Geschirrspüler angeboten wird. Der Energiemanager überprüft, ob und wann genügend Strom über die Photovoltaikanlage zur Verfügung steht. Unter Berücksichtigung des festgelegten Zeitfensters und des vorhandenen Energieüberschusses werden Waschmaschine, Trockner oder Spülmaschine zum effizientesten Zeitpunkt gestartet. „Verlässlich, sparsam und unabhängig“, wie Bosch verspricht.

Wildwuchs prägt den Markt
Bei der Umsetzung der Vernetzungsideen gibt es nach wie vor Schwächen. Die offensichtlichste: Jeder Hersteller funkt alleine vor sich hin und köchelt sein eigenes Süppchen. Auf eine gemeinsame App, über die alle Geräte aller Unternehmen gemeinsam gesteuert werden können, konnte sich bisher nicht verständigt werden. Einzige Ausnahme bilden bislang Bosch und Siemens mit der „Home Connect“-App – aber die beiden Unternehmen gehören bekanntlich zu einem Konzern.
„Was wir im Moment erleben, ist Wildwuchs“, bringt Peter Knaak, Multimedia-Experte der Stiftung Warentest, die Situation auf den Punkt. Knaak sagte im ZDF-Interview: „Jedes Konsortium hat seine eigenen Standards, versucht sie in den Markt zu rücken, konkurriert mit den anderen. Auf der Strecke bleibt der Kunde, der eben nicht das Gerät der einen Firma mit dem einer anderen vernetzen kann.“
Obwohl sich Karsten Ottenberg, Vorsitzender der Münchner BSH-Geschäftsführung, gar nicht dagegen sperrt, sein System zu öffnen, wie er der Nachrichtenagentur dpa berichtete: „Wenn man Geräte anderer Hersteller in unser „Home-Connect“-System einkoppeln möchte, müssen sich alle an ein paar Grundregeln halten. Man muss nicht unsere Hardware dafür verwenden, aber bestimmte Mechanismen zum Einkoppeln programmieren. Die anderen Hersteller können sich sowohl am Gerät selbst andocken oder aber auch in den Hintergrundsystemen für die App. Da führen wir derzeit Diskussionen mit anderen Firmen, auch mit Wettbewerbern.“

Standardisierte Plattformen
Auch bei AEG ist man sich bewusst: „Vernetzte Haushaltsgeräte werden immer gefragter.“ Aber der Konzern hält sich im Vergleich zu anderen Wettbewerbern bewusst zurück. „Wir zeigen in Berlin, dass wir es können. Aber solange es noch keine Weltsprache hinsichtlich einer einheitlichen Steuerung gibt, werden wir das Thema nicht forcieren“, sagt Elisabeth Lokai-Fels, Pressesprecherin Electrolux Deutschland. Ganz ohne geht es aber im 21. Jahrhundert nicht: Deshalb zeigte AEG während der IFA seinen „ProCombi Plus Smart“-Dampfgarer mit eingebauter Kamera. Gesteuert wird dieses Gerät optional über eine AEG-App. „Es ist der weltweit erste vernetzte Multifunktionsdampfgarer“, erklärt das Unternehmen.

Das Wichtigste: der Mehrwert
Dabei betonte jeder Gerätehersteller gebetsmühlenartig immer und immer wieder, dass sie den Kundenwünschen gerecht werden wollen: Kaffeemaschinen speichern die Lieblingsgetränke von Familie, Freunden und Nachbarn. Der Backofen zeigt Rezepte an und kann als Lautsprecher dienen. Geschirrspüler melden, wann der Vorrat an Tabs zuneige geht. „Aber“, warnt Miele-Chef Zinkann, „auch die fortschrittlichste Funktion wird am Markt versagen, wenn sie Verbrauchern keinen Mehrwert bietet.“ Zu den Neuheiten aus dem eigenen Haus, die diesen Nutzen-Mehrwert bieten, zählt die Wäschepflege-Funktion EditionConn@ct: Geht Waschmittel zur Neige, meldet sich das Miele-Dosiersystem „TwinDos“ automatisch via Internet auf Smartphone oder Tablet des Benutzers – und mit wenigen Klicks lässt sich Ersatz bestellen. Der flüssige Zweikomponenten-Reiniger habe eine ähnliche Wirkkraft wie herkömmliches Pulver mit Bleichmitteln. Das sei einzigartig für Flüssigwaschmittel, so Miele.
Ähnlicher Meinung wie Zinkann ist auch Gerd Holl, General Manager Deutschland & Österreich von Electrolux: „Wir sind der Überzeugung, dass vernetzte Hausgeräte eine nahtlose und komfortable Nutzererfahrung bieten müssen, die auf offene, standardisierte Plattformen aufbaut.“

Der eigene Weg
Einen eigenen Weg geht das Start-up-Unternehmen Cuciniale. Der Anbieter vom Bodensee hat einen kleinen handlichen Sensor entwickelt, der das „perfekte Kochergebnis“ herstellerübergreifend garantieren soll. Der Clou: Dem „Gourmetsensor“ ist es egal, ob der Koch auf einem Induktions-, Gas- oder Cerankochfeld kocht und was für ein Kochgeschirr eingesetzt wird. Der Gerätehersteller spielt auch keine Rolle. Dafür kann sich der Sensor auf jedes Gargut einstellen – egal ob es ein Steak oder Risotto ist.
Das Cuciniale-Team hat keinen Standard-Kerntemperaturfühler entwickelt, wie man ihn aus Backöfen kennt, sondern einen hochpräzisen und mobil einsetzbaren Sensor mit sechs Messpunkten. Zum Cuciniale-Kochen benötigt man neben dem „Gourmetsensor“ ein ipad oder iphone sowie die kostenlose „Gourmetpilot“-App. Beim ersten Start benötigt das kleine Programm ein paar allgemeine Infos zum Herd, damit die Software dem Koch die richtigen Anweisungen geben kann“, sagt Prof. Dr. Michael Greiner aus dem Entwicklerteam. Der Gourmetsensor kostet 150 Euro. „Das ist eine richtige Innovation“, betont Geschäftsführer Holger Henke, „und das kann meiner Meinung nach nur ein Start-up-Unternehmen leisten.“ Noch im Herbst 2015 wird ein „intelligentes Kochfeld“ das Angebot bereichern.

www.ifa.de