27.02.2025

Der Müll kommt unter die Spüle. Und alles, was mit Wasser zu tun hat, auch. Was jahrzehntelang passabel auf 60 cm Breite funktionierte, stößt an seine Grenzen. Platznot herrscht in deutschen Spülenunterschränken. Und jetzt noch die Wassersysteme.

 

Vielfältige Ausstattungen für den Hauswirtschaftsraum bietet Hailo auch an. Im Vordergrund stehen aber nach wie vor Abfalltrennsysteme in zahlreichen Varianten, wie Stephan Müller (Bereichsleiter Einbautechnik, Foto links) und Marketingleiter Frank Peter Koch betonen. Foto: Biermann

Hailo „Cargo Aqua“. Foto: Biermann

Naber „Cox Base Q“. Foto: Naber

Ninka „eins2acht”. Foto: Ninka

Blanco „Multi Frame“. Foto: Biermann

Ob festgefahrene Geschlechterklischees, autoritäre Erziehungsmethoden oder ein verknöcherter Politikbetrieb: Man kann an den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vieles beanstanden. Auch in der Küche quietschte, röhrte und schepperte es an allen Ecken und Enden. Rund um die Spüle dominierte Purismus. Ein Becken mit Abtropffläche, eine Armatur und ein Abfalleimer mit Pedal für alles, was nicht mehr gebraucht wird – fertig war das multifunktionale Vorbereitungs-, Spül- und Entsorgungszentrum. Wer es komfortabel mochte, tauschte den Solo-Treteimer gegen die Einbauvariante, bei der sich der Eimerdeckel mit dem Öffnen der Drehtür selbsttätig lüftete. Magic. Die Küche der Zukunft aus Sicht der frühen 50er. Ansonsten herrschte gespenstische Leere im Schrank unter der Wasserstelle. Ablaufschläuche und der Siphon räkelten sich im Hintergrund, eine Flasche Scheuermilch, Spüli, vielleicht einige Lappen und ein verwelkt anmutender Scheuerschwamm. Der mit der grünen Seite. 60 cm in der Breite genügten für das Sammelsurium vollauf. Ein vorteilhaftes Maß, wie sich herausstellte. Denn damit ließ sich im Zeilenverbund mit Hochschränken, Einbaukühlgeräten und Geschirrspülern harmonisch planen und unkompliziert verkaufen.

Alle rücken zusammen
Anfang der 1990er-Jahre dann der Grüne Punkt. Wertstofftrennung war das Gebot der Stunde und im Spülenschrank rückten alle zusammen. Kunststoffe für den Gelben Sack wurden separiert, es folgten Papier, Pappe, Grünabfall und Glas. Im Windschatten der neuen Anforderungen übernahmen Auszugssysteme für die Zwei- und Dreifachtrennung das Kommando. „Heute könnten mehr als zehn Abfallfraktionen getrennt werden“, erzählt Stephan Müller, Bereichsleiter Einbautechnik bei Hailo in Haiger, und verweist beispielhaft auf weitere gängige Sammelmaterialien wie Metalle, Batterien und PET-Flaschen. Dass dies alles nicht in einen einzigen Schrank und in zwei, drei Behälter passt, versteht sich von selbst. Dennoch ist der 60 cm breite Schrank weiterhin das Lieblingsmaß in Deutschland und Europa, und Schrankausstatter wie Hailo sind aufgefordert, das Maximale aus dem vorhandenen Platz herauszuholen. Was ihnen bewundernswert gelingt. Dass parallel zur Abfall- und Wertstofftrennung Platz für praktische Organisationssysteme genutzt werden kann, zeigt die Kompetenz der Einbauprofis.

What a nice idea!
In anderen Teilen der Welt betrachtet man den uns so vertrauten Fokus auf die Müll- und Wertstoffsammlung im schmalen Spülenunterschrank interessiert, aber auch mit überrascht hochgezogener Augenbraue. „Oh, what a nice idea!“. Süffisant anmutende Kommentare wie diese kommen zumeist von Kunden aus den USA oder Kanada, erzählt Stephan Müller, der vor Beförderung zum Bereichsleiter für den Export von Hailo zuständig war. In diesen Märkten sind separate Müllschränke Standard. Das entzerrt nicht nur den Raum unter der Spüle, wo bekanntlich vieles schnell zur Hand sein will, sondern bietet den Vorteil höherer Behälter. Weil von oben kein Becken drückt. Mit den „Euro-Cargo“-Systemen hat Hailo diese Einbauidee längst auf deutsche DIN-Maße gebracht. Allerdings ein in Zentraleuropa bislang schleppendes Geschäft, wie Müller einräumt. Weil hierzulande halt viele den 60er-Spülenschrank lieben und eine Menge dort unterbringen wollen: Abfall, Wertstoffe, Putz- und Pflegeutensilien, Abwasser- und Frischwassertechnik. In einer WhatsApp-Nachricht käme an dieser Stelle das schwitzende Emoji mit dem verzweifelten Lachen zum Einsatz.

Neue Herausforderungen
Dass nun die Wasseraufbereitung an Popularität gewinnt und sich die Kundschaft im Premiumsegment zögerlich, aber wahrnehmbar von der Idee des gefilterten, gesprudelten und/oder kochenden Wassers auf Knopfdruck begeistern lässt, führt aus Sicht der Schrankausstattung zu neuen Scherereien. Denn das aufbereitete Trinkwasser benötigt selbstverständlich technische Unterstützung. Und wo müssen Filteranlagen, Heißwasserboiler und Sprudelkartuschen hin? Genau! In den Spülenunterschrank.
Um diese nicht sehr sinnvoll aufeinander abgestimmten Ansprüche erfüllen zu können, reagieren die Ausstattungsspezialisten mit Einfallsreichtum und spezifischen Kundenlösungen. Diese nagen aber, so ehrlich muss man sein, an der Kernkompetenz eines effektiven und komfortablen Abfalltrennsystems.
Dennoch können sie hilfreich sein. So schickt Ninka die Kompakteinheit „eins2acht“ ins Rennen, Naber die Kombinationslösung „Cox Base Q“ und Blanco füllt mit dem Installationsmodul „Frame“ gleich den kompletten Innenschrank. Hailo geht den integrativen Weg aktuell mit dem auf der Sicam neu vorgestellten „Cargo Aqua“. Drei Produktvarianten gibt es: für Schränke bis 90 cm und 75 bis 80 cm Breite und natürlich für den Planungsliebling in 60 cm. Allerdings stehen dann nur zwei Behälter à 13 Liter für die Abfall- und Wertstofftrennung zur Verfügung. Oder ein Einzelbehälter mit 28 Liter Volumen. Im 75 cm bzw. 80 cm breiten Spülenschrank sind es mit „Cargo Aqua“ bereits zwei Inneneimer mit 28 und 18 Liter Volumen und im 90-cm-Schrank wächst das Angebot auf drei Eimer mit einmal 28 Liter und zweimal 13 Liter Volumen.

Es bleibt ein Kompromiss
Was also tun, um sich dem Diktat des Kompromisses nicht zu tief und auf Kosten vieler anderer wichtiger Küchenfunktionen beugen zu müssen? Wenn es nach Stephan Müller geht, ist die Antwort einfach: ein breiter Spülenunterschrank über die gewohnten 60 cm hinaus bzw. zusätzlicher Stauraum für die Wassertechnik und/oder ein separater Müllschrank. In dieser Hinsicht werden ihm die Kolleginnen und Kollegen von Naber/Wesco, Ninka, Blanco, Franke und Vauth-Sagel (und alle anderen) vermutlich vorbehaltlos folgen. Doch wer weiß: Wenn sich die bei Kühlgeräten und Vorratsschränken gerade neu in Szene gesetzte 75er-Möbelnische etabliert, könnte davon über Umwege auch das Platzangebot im Spülenunterschrank profitieren. Praktisch wäre es schon.

Dirk Biermann