13.09.2023

Sparsam mit den Highlights sein

Hans Winkler interessiert sich für viele Themen. Und die meisten haben mit den Themen Küche und Wohnen zu tun. Dabei geht es dem Industriedesigner nicht allein um die Gestaltung eines Produkts. Er schätzt den ganzheitlichen Blick. Inklusive Vertrieb, Messepräsentation und Schulungskonzepte.

„Wir begleiten das Produkt innerlich gern, wohin es dann geht.“ Hans Winkler, hanswinklerdesign.de. Foto: Winkler

KÜCHENPLANER: Was fasziniert Sie an der Küche?
Hans Winkler: Hier kommen extrem viele Aspekte zusammen. Emotionen, Funktionen, Materialität und Werkstattcharakter. Daraus entsteht ein Gesamtprodukt, das ein Lebenselixier fabriziert: Nahrung. Wir haben es mit einer hohen gestalterischen Ästhetik zu tun und einer hohen technischen Funktionalität und daraus entsteht Nahrung. Und die dient dem Menschen. Das mag ich.

Was liegt ihnen dabei mehr am Herzen: die Architektur der Möbel oder die technische Funktion der Geräte?
Als gelernter Schreiner sind es die Möbel. Aber ohne Funktion geht es nicht, sie ist elementar. Das bezieht sich nicht allein auf die Gerätetechnik. Auch auf das große Thema Stauraum. Deshalb wird die Küche nicht den Weg des Wohnmöbels gehen, wo inzwischen fast alles digitalisiert wird. Bücher, Musik. Die Wohnwände alter Prägung braucht niemand mehr. In der Küche ist das anders.

Seit wann begleitet die Küche Ihr berufliches Leben?
Nach meiner Schreinerlehre führte mich der Weg erst zu Mercedes und zur Bearbeitung von Armaturenteilen für die Innenausstattung von Fahrzeugen. Auch in so einem hochspezialisierten Funktionsbereich wie dem Cockpit eines Fahrzeugs geht es nicht ohne Emotion. Holz ist da immer wieder ein sehr wesentlicher Werkstoff. Aber die Automobilindustrie war nicht mein Fokus. Das merkte ich schnell. Deshalb absolvierte ich eine Fortbildung an der Fachakademie für Holztechnik und Gestaltung in Stuttgart und fand dann eine Anstellung bei zeyko im Schwarzwald. Dort arbeitete ich erst im technischen Bereich und wechselte dann zum Start eines groß angesetzten Projekts in die Abteilungen Design und Marketing als Projektleiter. Diese vielen verschiedenen Stationen haben meinen Blick auf das Thema Küche geweitet.

Wie meinen Sie das?
Wir haben bei zeyko mit viel Leidenschaft und Herzblut eine modulare, mobile Küche entwickelt. Das war 1995/96. So ein Produkt hätte man von einem Schwarzwälder Küchenmöbelhersteller damals gar nicht erwartet. Dabei habe ich viel gelernt. Auch, was es bedeutet, mit einem Produkt zu früh zu sein.

Weil der Markt noch nicht reif dafür war?
Es reicht nicht, von einem Produkt fasziniert zu sein. Die Vertriebsstrategie muss parallel ebenfalls entwickelt werden. Bis hin zum Marketing und einem guten Messeauftritt. Wir Produktmenschen entwickeln unsere Ideen gern mit Leidenschaft bis ins Detail, aber die gleiche Energie und Kreativität muss in den Vertrieb und die Vermarktung fließen. Gerade wenn man etwas ganz Neues bringt, ist es entscheidend, wie und ob die Kommunikation beziehungsweise das Produkt auch die gewünschten Menschen erreicht.

Die modulare Küche wurde also ein Flop?
Sie hatte nicht den gewünschten Erfolg. Und rückblickend war sie eben nicht in allen Faktoren für einen Produkterfolg gut vorbereitet und kam aus heutiger Sicht einige Jahre zu früh. Aber es waren prägnante zwei Jahre, in denen ich viel gelernt habe.

Wie ging es für Sie weiter?
Nach der zeyko-Insolvenz erhielt ich eine Anfrage von der Firma Stocke, einem norwegischen Stuhlhersteller. Meine Aufgabe war es, die Vermarktung des bekannte Trip-Trap-Kinderstuhls in Deutschland zu entwickeln. Das war gerade in Bezug auf die Erfahrung mit der mobilen Küche sehr spannend. Den Markt und seine Gesetzmäßigkeiten life kennenzulernen, waren sehr wesentliche Lehrjahre für mich. Drei Jahre habe ich das gemacht. In dieser Zeit habe ich viel über den Fachhandel und über Vermarktung erfahren und verschiedenste Unternehmer und deren Expertise kennengelernt.

Als Designer im Vertrieb: Das stelle ich mir ungewöhnlich vor.
Ich stand plötzlich auf der anderen Seite. Vorher musste ich andere von meinen Ideen überzeugen, jetzt wurden mir plötzlich Neuheiten präsentiert und ich sollte diese einordnen. Aber ich wollte schon immer wissen, wie das draußen im Handel funktioniert. Nach drei Jahren bei Stocke hatte ich das Gefühl, dass meine innere Lehrzeit beendet ist. Anfang 2000 habe ich mich dann mit dem Designbüro Hans Winkler selbstständig gemacht.

Wer waren ihr ersten Kunden?
Unter anderem zeyko. Wir haben gemeinsam die zeyko-Akademie aufgebaut und Seminare und Schulungen durchgeführt. Kreatives Gestalten, Beratung, Verkaufsthemen. Parallel dazu waren wir in diverse Entwicklungs- und Gestaltungsprojekte eingebunden. Frontsysteme, Innenausstattungen. 15 Jahre haben wir das gemacht. Bis es zur zweiten Insolvenz kam und Andreas Kress als Geschäftsführer ausschied. Mit Andreas verbindet mich aber noch immer viel. Wir kennen uns jetzt schon lange und wissen, was wir voneinander erwarten können, wer welche Expertise hat und wie das gut zusammen geht. Wir als Designbüro haben die kreativen Konzepte, er die Vertriebsexpertise par excellence. Wir haben schon viele Dinge gemeinsam entwickelt. Ich schätze diese Verbindung sehr.

Wie groß ist ihre Agentur heute und mit welchen Themen beschäftigen Sie sich?
Wir sind fünf Kolleginnen und Kollegen. Bei Bedarf arbeiten wir mit externen Kollegen zusammen, wenn zum Beispiel große Messen anstehen.
Bei den Themen ist die Küche zentral, aber auch Produkte fürs Bad und fürs Wohnen generell: Kastenmöbel, Tische, Stühle, Garderoben. Alles, was zum Wohnen gehört. Dabei begleiten wir Unternehmen auch umfassend, zum Beispiel vor einigen Jahren den Wohnmöbelhersteller und Massivholzspezialisten Decker auf seinem Weg in die Küche. Und dann sind da natürlich auch die reinen Einzel-Produktthemen. Für Naber haben wir die Keramikspüle „PickUp“ mit Stufe entwickelt. Diesen Wechsel zwischen Gesamtsystem Küche, der Beschäftigung mit Ausstattungselementen und wieder zurück zum Gesamtsystem finde ich sehr spannend.

Welche Projekte sind gerade aktuell?
Aktuell arbeiten wir unter anderem eng mit der Firma systemceram zusammen und haben einige Neuheiten entwickelt, die sich formal klar organischen Aspekten bedienen. Vorgestellt werden diese Spülen auf der area30 im September. Ich darf natürlich noch nicht zu viel verraten: Aber damit bringt systemceram einen neuen Ansatz ins Spülendesign. Einen fließenden Ansatz mit einer weichen Haptik, der die Vorzüge des natürlichen Materials Feinsteinzeug nutzt und dabei Design und Funktion zusammenbringt. Ein langlebiges Produkt mit dem Zeug zum Klassiker.
Weitere aktuelle Felder sind die Entwicklung von Schulungs- und Beratungsangebote und Vertriebskonzepte für den Fachhandel und das Messewesen. Hier durften wir in der Vergangenheit für die Trendfairs GmbH von Michael Rambach einige Projekte begleiten. Auch die Entwicklung und Umsetzung der „Innovation Area“ auf der kommenden area30 haben wir gemeinsam mit trendfairs entwickelt.
Als klassisches Industriedesignbüro ist der Maschinenbau ein weiteres Feld. Zum Beispiel haben wir für einen Kunden in Japan zwei umfangreiche Laseranlagen konzipiert und für das Unternehmen BURG ein neues Schließsystem. Dabei ist es nach wie vor eine Freude zu beobachten und auch daran teilzuhaben, wie es mit dem Produkt weitergeht. Im Marketing, in der Kommunikation, bei der Messepräsentation und anschließend im Handel. Diesen Prozess habe ich schon immer mit Interesse begleitet. Woraus sich dann auch das Vertrauen für immer weitere Aufträge entwickelt.

Haben Sie ein Beispiel?
Die Designelemente unter dem Label OSTA Küchen. Die haben wir 2022 auf der area30 erstmals vorgestellt. Ziel ist es, herkömmliche Standardküchen durch Abschluss- und Regalelemente mit Funktion weiter aufzuwerten und zu individualisieren. Als Designbüro begleiten wir bei diesem Projekt den gesamten Prozess eines Produktzyklus. Von der ersten Skizze des Produktdesigns über die Konzeption des Markenauftritts, die Foto- und Filmaufnahmen und die Kommunikation des Markenauftritts bis hin zu Vertriebsimpulsen.

Für wen sind Designelemente interessant?
Für Fachhändler auf der Suche nach Differenzierung. Wobei es nicht um komplett neue Küchenmöbel geht, sondern um die Ergänzung und Erweiterung des Serienmobiliars der gängigen großen Hersteller. Die Design-Elemente von OSTA haben immer eine überraschende Funktion, zum Beispiel das Liften (Werkbank „Lift-up“) oder das Verbergen, Öffnen und Präsentieren (Vitrine „Show me“), und überraschende Materialität wie das längenunabhängige Regalsystem „U-Bahn“ mit individuell wählbaren Rückwandmaterialien, zum Bespiel sehr exklusiv mit Moos. Damit machen die Elemente den No-name-Standardkubus zu etwas Überraschendem. Gestartet sind wir im vergangenen Jahr mit den genannten drei Elementen, inzwischen ist eine Outdoor-Küche dazugekommen. So wächst das Sortiment zurzeit stetig und im Herbst wird es wieder eine überraschende Ergänzung geben. Immer wieder mit Funktionen und wertvoller Ästhetik zu überraschen, ist unser Ziel.

Wie ist die Resonanz des Fachhandels auf diese Möglichkeit der Individualisierung?
Der Zuspruch für uns als kleine Startup-Familie im vergangenen Jahr war so groß, dass wir erstmal schauen mussten, wir das alles zu handeln ist. Wir haben seitdem viele Gespräche geführt und konnten bereits 45 Platzierungen im Fachhandel realisieren. Bis Ende 2023 könnten wir 70 Musterplatzierungen erreichen. Das hoffen wir zumindest. Inzwischen gehört ein Vertriebsmitarbeiter zum OSTA-Team und wir haben viele weitere Hausaufgaben gemacht. Die Vermarktung erfolgt Schritt für Schritt zunächst mit Händlern des Verbandes GEDK.
Wichtig ist mir zu betonen, dass wir mit den Designelementen nicht in Konkurrenz zu den traditionellen Küchenmöbelherstellern gehen, sondern eine individuelle Ergänzung sind. Alle Elemente gibt es in den gängigen Rastermaßen. Deshalb ist es kompatibel. Produzieren lassen wir von einer industriellen Manufaktur – kein Küchenhersteller –, die über große Erfahrung im Objektgeschäft verfügt und von Stückzahl eins bis zur bedeutenden Serie immer skalieren kann.

Wenn Sie allgemein das Küchendesign betrachten: Was muss ein Produkt mit Blick auf Gegenwart und nächste Zukunft bieten, um am Markt erfolgreich zu sein?
Ein Produkt muss schnell und gut erfassbar sein. Die Funktionen müssen gut ablesbar sein und es muss durch individuelle Emotionalität faszinieren. Das kann über Materialität, Form oder über die Funktion geschehen. Zudem sollte ein Produkt formal eher beruhigen als aufregen. Ich bin ein Fan einer beruhigten Umgebung, weil wir in einer extrem schnellen und extrem impulsiven Zeit leben. Ich glaube, dass wir dadurch eine gute Form von Fokussierung brauchen und in einer guten Art Beruhigung auch fürs Auge sehr schätzen werden. Das heißt aber nicht, ausschließlich grifflose Möbel zu verwenden. Oder nur auf eine puristische, reduzierte Architektur und Formensprache zu schauen. Es kann auch im modernen Landhausbereich beruhigend zugehen. Klarheit ist in unterschiedlichen Stilrichtungen von Vorteil.

Wie bekommen wir Ruhe in den Raum?
Eine beruhigende Gesamtwirkung entsteht durch eine proportional stimmige Ästhetik und ausgesuchte Farben und Dekore. Tendenz: eher zurückhaltend. Dazu wähle ich nur ein Highlight, das etwas wilder sein darf. Ein besonderes Regal, etwas, was rauf- und runterfährt, ein angenehmer Kontrast. Das kann eine Funktion sein, eine überraschende Formgebung sein oder ein besonderes Material. Zum Beispiel Schwarz pur und dann wird ein Holzelement integriert.

Nur ein Highlight pro Küche?
Zu viele Highlights verderben das Gesamtprodukt. Es gilt klug auszuwählen, ob die Geräte diese Rolle übernehmen soll, die Arbeitsplatte, die Spüle, die Armatur, ein Regal oder eine besondere Leuchte. Oder auch der Bodenbelag wie eine besondere orientalische Fliese oder ein durchgehender Massivholzboden. In der Akademietätigkeit weisen wir immer wieder darauf hin, Elemente wegzunehmen: Wenn zu viel zusammenkommt und dann noch ein ganz besonderer Stein mit rein muss, irritiert dies nicht nur das Auge. Dann treffen die Kunden keine Entscheidung mehr, weil sie verunsichert sind und nicht wissen, warum.
Kurz gesagt: Küchendesign 2024 ist meiner Meinung nach das Zusammenspiel von Beruhigung, Fokussierung, klarer Architektur und faszinierenden Materialien.

Und ausgesuchten Highlights.
Und ausgesuchten Highlights.

Was ist ihr persönlicher Blick auf Küche? Was sind sie für ein Küchentyp.
Ich bin ein Freund der leisen Küche. Ich wünsche mir Klarheit. Und eine Aufgeräumtheit, die sich auch eine überraschende Funktion erlaubt. Ich bin ein OSTA-Typ. Von der Architektur her schätze ich es geradlinig, aber dann gern mit einem markanten Kontrast wie zum Beispiel einem Spülenblock als Werkstattmodul. Dabei schaue ich nicht nur auf die Möbel, auf Geräte oder andere Ausstattungsdetails. Das Gesamtbild muss passen.

Kochen Sie auch selbst?
Ich bin eher der leidenschaftlicher Beikoch. Und derjenige, der für die Musik sorgt. Auch als Musiker muss man die guten Komponenten nutzen. Und für einen guten Sound auch mal viel weglassen, damit der Groove zu einem guten faszinierenden Gesamtklang wird. So gesehen ist ein guter Musiker durchaus vergleichbar mit einem Koch oder Architekt – alle brauchen ein faszinierendes Erlebnis!

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Winkler.

Dirk Biermann