23.12.2014

Von Dirk Biermann: Das Marketing liebt die Idee, die Medien auch. Doch viele Verbraucher tun sich schwer mit vernetzten Hausgeräten. Zu groß scheint die Sorge vor Datendiebstahl, zu klein der Glauben an einen praktischen Nutzen. Industrie und Handel haben noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

„Ja“ zu Smart Home, „Nein“ zum vernetzten Kühlschrank. So denken viele Bundesbürger aktuell. Das sagt zumindest eine Umfrage des VDE. Die Studie kommt zu dem Schluss: Es ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bis die vernetzte Küche Realität wird. Foto: Biermann

Als Studienthema in der Rubrik „­Küche der Zukunft“ waren vernetzte Hausgeräte in der Vergangenheit stets eine fest Größe. Was genau der Nutzen eines Ofens oder Kochfelds mit Internetanschluss sein sollte, blieb mangels Alltagserfahrungen zwar stets etwas nebulös und auch eine Spur unheimlich, doch die Vorstellung faszinierte. Ein bisschen wie Raumschiff Enterprise daheim. Zwischenzeitlich wurde es ein wenig ruhiger um diese Vision. Doch seit der IFA 2014 geht es mächtig rund. „Das vernetzte Hausgerät“ war in Berlin der Liebling der Medien. Angefeuert durch offensive Präsentationen von marktführenden Herstellern. Der Medienhype war so enorm, dass man fast den Eindruck gewinnen konnte, dass Öfen oder Geschirrspüler ohne Internetanschluss schon bald ein Fall für den Wertstoffhof sind. Inzwischen haben sich die medialen Wogen geglättet. Das gibt Raum für einen zweiten Blick.

Vernetzung IST...
Dass Internet und Computertechnik unser Leben bestimmen, ist Fakt. Und dass die vernetzte Technik in immer mehr Lebensbereichen immer alltäglicher wird, ebenso. Doch zwischen Steuerung, Regelung und Programmierung der Haustechnik und dem Einsatz in der Küche macht der Verbraucher scheinbar noch Unterschiede. Technisch machbar ist vieles, doch nicht alles, was geht, ist auch gewünscht. Manch einer schreckt angesichts der skizzierten Umsetzungen gar komplett vor dem Thema zurück und hat vorerst den mentalen Netzwerkstecker gezogen. Was zum Problem werden kann, denn wer sich den als allzu vollmundig empfundenen Marketingversprechen von heute verweigert, dürfte auch morgen schwer empfänglich sein für die Vorzüge der Vernetzung. Auch dann, wenn der Nutzen dieser Technik für den Verbraucher transparenter und die Datensicherheit gewährleisteter ist.

...aber nicht überall gewünscht
Laut einer repräsentativen Umfrage des Ingenieurverbandes VDE* hätten 62% der Bundesbürger gerne ein modernes Energiemanagement und können sich für die Vernetzung von Photovoltaik-Anlage, Energiespeicher und Heizung durch intelligente Steuerungstechnik begeistern. 51% der Befragten wünschen sich Hausautomation, also die automatische (Fern-)Steuerung von Beleuchtung, Fenster, Jalousien, Heizung oder Alarmanlage. Die Hälfte der Befragten sieht allerdings in der Überwachung und Steuerung des Smart Home mittels Smartphone oder Tablet keinen Mehrwert. 51% haben kein Interesse an vernetzter Unterhaltungselektronik zu Hause.
Die größten Vorbehalte gibt es laut VDE aktuell noch gegen vernetzte, ferngesteuerte bzw. programmierte Elektrohaushaltsgeräte. 62% wünschen sich intelligente Haushaltsgeräte wie Herd, Kühlschrank, Waschmaschine oder Kaffeeautomat dezidiert nicht. „Hier besteht dringender Aufklärungsbedarf“, sagt Dr.-Ing. Hans Heinz Zimmer, Vorstandsvorsitzender des VDE. Die Industrie müsse den Verbrauchern den tatsächlichen Mehrwert durch das Smart Home sowie die Maßnahmen zur Datensicherheit aufzeigen.

Keine technischen Spielereien
Das wissen die Hausgerätehersteller auch. So sprach sich Dr. Axel Kniehl, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb von Miele, bei seiner IFA-Premiere für den Gütersloher Hausgerätehersteller ausdrücklich gegen „technische Spielereien“ aus und plädierte für Vernetzungslösungen, die einen „echten Kundennutzen“ haben. Er stellte sehr infrage, ob Menschen den mobilen Blick hinter die Kühlschranktür wirklich brauchen, oder ob die Waschmaschinen-Bedienung vom Sofa aus erstrebenswert sei. „Der echte Durchbruch steht uns bei der Vernetzung sicherlich erst noch bevor“, prophezeite Kniehl. Konkreter wurde sein Blick in die Zukunft leider nicht. Stattdessen betonte er, dass Miele bereits heute mehr als 400 vernetzungsfähige Geräte im Programm habe. Das seien so viele „wie bei keinem anderen Hausgerätehersteller“. Die neu entwickelte App Miele@­mobile – geplante Markteinführung Anfang 2015 – soll die Bedienung dieser Geräte noch komfortabler gestalten. Auch Siemens, Bosch und Candy gehen den Weg der mobilen Gerätesteuerung per eigener App. Mit Servicefunktionen wie Fernwartungsmodus und Softwareaktualisierungen inklusive.

Module nachrüstbar
So ähnlich wie Dr. Kniehl drückte es auch Siemens-Geschäftsführer Roland Hagenbucher auf der IFA aus: „Das Thema Vernetzung ist jetzt schon präsent, aber die richtige Welle kommt erst auf uns zu.“ Beide Unternehmen machen ihre Top-Geräte mit einem entsprechenden Kommunikationsmodul grundsätzlich netzwerkfähig. Für ausgewählte Modelle schon heute ab Serie, bei anderen als Option. Die Nachrüs­tung zum Beispiel eines Miele-Geräts mit einem Kommunikationsmodul kos­tet je nach Modell zwischen 79 und 99 Euro. Die „Kollegen“ bei Bosch und Samsung gehen ähnlich vor. Weitere „Pioniere“ auf dem Gebiet der Vernetzung sind aktuell Hersteller wie Amica, Candy, Electrolux und Beko. Doch so gut wie jeder Hersteller dürfte am Thema arbeiten. Wie intensiv genau, lässt sich im Einzelfall nicht dokumentieren, denn nicht alle haben den medienwirksamen Schritt an die Öffentlichkeit im großen Stil vollzogen.

Gar nicht so neu
Bei dem aktuellen Hype um die Vernetzung muss aber auch festgehalten werden: Erste Ideen dazu gab es schon weit vor der IFA 2014. Manche davon sind sogar längst Realität in der Küche. Wie zum Beispiel die Steuerung der Haube über das Kochfeld bzw. die automatische Anpassung der Lüfterleistung des Dunstabzugs an die Wrasenentwicklung. Auch hier pocht das Unternehmen Miele auf eine Vorreiterrolle, denn man habe bereits 1998 mit dem Service „InfoControl“ seine ersten vernetzten Hausgeräte präsentiert. Einige Jahre später folgte die Anwendung „SuperVision“, bei der das Backofendisplay als Beobachtungsposten für angeschlossene Geräte in Küche und Waschkeller dient, und zeitgleich mit „­SuperVision“ die Einführung von „Con@ctivity“, dem automatischen Zusammenspiel von Kochfeld und Dunstabzugshaube.

Stimmungsbild der Branche
Die Redaktion KÜCHENPLANER nutzte die ostwestfälischen Haus- und Fachmessen im September für ein Stimmungsbild in der Branche und fragte jeden Gesprächspartner, wie er bzw. sie die Zukunft der „vernetzten Küche“ a) allgemein einstuft und b) welchen Anteil das jeweilige Unternehmen daran haben werde. Das Ergebnis dieser Feldforschung ist eindeutig. Verallgemeinert gesagt: Vernetzung ist in den Augen der Branche ein reines Gerätethema. Die Küchenmöbelhersteller fühlen sich dafür nicht zuständig und die meisten Zubehörhersteller ebenfalls nicht. Aber selbst bei den Geräteherstellern gibt es unterschiedliche Ansichten. Bauknecht-Geschäftsführer Jens-­Christoph ­Bidlingmaier drückte es so aus: „Ich bekomme schon so viele Mails, da brauche ich keine weitere von meiner Waschmaschine.“ Mit dem nächsten Atemzug nach dem Kalauer betonte er jedoch, dass Bauknecht selbstverständlich mit eigenen Überlegungen „an dem Thema Vernetzung dran sei“. In der neuen Ausstellung auf Gut Böckel konnte zum Beispiel ein Kochfeld mit Großdisplay bewundert werden. Natürlich mit Webanbindung.

Neff verzichtet bewusst
Die Einbaugerätemarke Neff zeigt der Vernetzung vorerst die kalte Schulter. Bei der Präsentation der neuen Einbaugerätelinien im September im Kaiserpalais von Bad Oeynhausen sagte Geschäftsführer Stefan Kinkel, dass man sich bewusst dagegen entschieden habe, die Geräte mit einem Kommunikationsmodul auszustatten und diese Funktion entsprechend anzupreisen. „Wir hätten die Vernetzung haben können“, so Kinkel, „aber diese Art der Technik passt nicht zu den Kunden der Marke Neff, damit hätten wir sie nur erschreckt.“

Eine Frage des Standards
Vernetzungsfähige Hausgeräte brauchen natürlich im Hintergrund die entsprechende Software sowie einen Internetzugang, damit sie ihre Stärken ausspielen können. Hier ­kochen die Hersteller aktuell noch verschiedene Süppchen, wenngleich alle betonen, markenübergreifend zu agieren. Hier drei Beispiele:
Zur IFA 2014 präsentiert die BSH konzernübergreifend für die Marken Bosch und Siemens eine Lösung, mit der verschiedene Hausgeräte unterschiedlicher Marken mit nur einer App gesteuert und zahlreiche Features genutzt werden können. Diese „Home Connect App“ kommt Ende des Jahres auf den Markt. Nach zweijähriger Entwicklungsarbeit. Die BSH verfolgt damit einen nach eigenen Angaben „konsumentenfreundlichen Ansatz“. Denn Home Connect sei als offene Plattform konzipiert und so entwickelt, dass die App zur Schaltzentrale aller Hausgeräte werden kann. Wer über ein Smartphone oder Tablet und eine WLAN-Internetverbindung verfügt, kann über die kostenlose App sein entsprechend ausgestattetes Hausgerät bedienen. Erhältlich ist die Anwendung Ende des Jahres 2014 für Geräte mit iOS-Betriebssystem, Android-Versionen folgen 2015. Für Home Connect gelten laut BSH strenge Datenschutz- und Datensicherheitsregeln. Verschlüsselte Datenkommunikation soll vor unerwünschten Zugriffen auf Services und gespeicherte Daten schützen. „Der Konsument bestimmt, welche Daten er freigibt und zu welchem Zweck“, wird Dr. Karsten Ottenberg, CEO der BSH, in einer Mitteilung zitiert.
AEG-Mutter Electrolux hingegen hat sich der AllSeen Alliance angeschlossen. Dabei handelt es sich um ein „nicht gewinnorientiertes Open-­Source-Konsortium“, das sich zum Ziel gesetzt habe, Produkte, Systeme und Services zu fördern, die das Internet der Dinge durch ein offenes, universelles Framework unterstützen. Die Mitglieder arbeiten also gemeinsam an einer Rahmenstruktur für den Einsatz einer Software, die den Einsatz vernetzter Hausgeräte samt mobiler Steuerung ermöglicht. In einer Beschreibung heißt es: „Das Framework wird durch ein lebendiges Ökosystem und eine wachsende Gemeinschaft von Technikexperten gestützt und weiterentwickelt. Die AllSeen Alliance hostet und fördert ein von der Industrie unterstütztes, offenes Software-Framework für Konnektivität und Services auf Basis der AllJoyn-Technologie. Premium-Mitglieder, Mitglieder der AllSeen-Community und der Open-Source-Community tragen zum Framework bei. Das sichere, programmierbare Konnektivitäts- und Service-Framework ermögliche es Unternehmen und Einzelpersonen, interoperable Produkte zu entwickeln, die andere Geräte, Systeme und Services in ihrer Nähe selbsttätig erkennen, sich mit ihnen verbinden und mit ihnen interagieren können, unabhängig von der Transportschicht, dem Gerätetyp, der Plattform, dem Betriebssystem oder der Marke. Weitere Informationen unter: http://www.allseenalliance.org.
Die AllSeen Alliance wurde im Dezember 2013 gegründet. Mit dem Beitritt von Electrolux ist die Mitgliederzahl auf 63 gewachsen. Zu den Mitgliedern zählen führende Hersteller von Unterhaltungselektronik, Haushaltsgerätehersteller, Dienstleis­ter, Einzelhändler, Unternehmen aus den Bereichen Automobil- und Unternehmenstechnologie, innovative Start-ups, Entwickler sowie Chipsatzhersteller. Premium-Mitglieder der AllSeen Alliance sind neben Electrolux auch ­Haier, LG, Microsoft, Panasonic, ­Qualcomm ­Connected Experiences, Inc., Sharp, ­Silicon Image, Technicolor und TP-Link.
Auch Miele hat sich einem Netzwerk angeschlossen: Qivicon. Die Steuerung und Statusabfrage der Miele-Hausgeräte von unterwegs oder zu Hause ist eine neue Anwendung (App), die seit September 2014 auf der Qivicon Smart Home-Plattform verfügbar ist. Schaltzentrale dieser Plattform und damit zuständig für die komplette Haussteuerung ist die Qivicon Home Base. Sie ermöglicht mithilfe verschiedener Apps ein intelligentes Energiemanagement, bietet aber auch Lösungen für mehr Sicherheit und Komfort im Haus. Qivicon ist eine von der Deutschen Telekom ini­tiierte Allianz führender Industrieunternehmen in Deutschland mit dem Ziel, Smart Home-Anwendungen voranzutreiben. Miele ist Gründungspartner von Qivicon. Die Qivicon Smart Home-Plattform ist mit unterschiedlichen Produkten und Apps zahlreicher Marken kompatibel und jederzeit modular erweiterbar. Erforderliche Komponenten für diese Anwendung: Internetrouter, Qivicon Home Base, Miele@home-fähige Hausgeräte mit Kommunikationsmodul.

Europäische Plattform
Drei Anbieter, drei Standards. Auch dieser für Laien verwirrend wirkende Umstand könnte dazu beitragen, dass Verbraucher der Vernetzung in der Küche zwischen abwartend und ablehnend gegenüberstehen. Wobei der Wunsch in der Industrie ein ganz anderer ist und auf Gemeinsamkeit zielt. Dr. Reinhard Zinkann, geschäftsführender Gesellschafter von Miele und Sprecher der deutschen Hausgeräteindustrie im Rahmen des Elektroverbandes ZVEI, gab auf der IFA schon mal die Richtung vor. „Ein gemeinsamer Standard wird in der Branche diskutiert werden müssen“, sagte er. Und: „Auf lange Sicht führt nichts an einer gemeinsamen Plattform auf europäischer Ebene vorbei.“

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* Für die repräsentative VDE-Verbraucherstudie wurden 1003 Bundesbürger befragt, davon 51% Frauen und 49% Männer. www.vde.com