18.12.2021

Zwischen Top-Marge und Mindestpreis

Jedes Küchenstudio kennt Kunden, die so preisbewusst verhandeln, dass sich der Verkauf kaum mehr lohnt. Den Zeitpunkt zu finden, an dem man einen Verkaufsprozess abbrechen sollte, ist aber gar nicht so einfach. Unter Umständen kann es sich sogar lohnen, unter den Mindestpreis zu gehen. Ingo Anneken von der SEB Steuerberatung erläutert, wann das der Fall ist.

 

Ingo Anneken ist seit 2009 Geschäftsführer der SEB Steuerberatung. Gemeinsam mit seinen Kollegen unterstützt er die Kunden über die klassische Steuerberatung hinaus hinsichtlich einer Vielzahl an betriebswirtschaftlichen Fragen – von der Rechtsformoptimierung bis hin zum Existenzgründung. Zudem ist er Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.). Foto: SEB

Gegensätzlicher als zwischen Verkäufer und Käufer können Beziehungen nicht sein: Der eine will seine Ware verkaufen, der andere kaufen. Der eine möchte einen möglichst niedrigen Preis zahlen, der andere die höchstmögliche Marge erzielen. Gerade bei Summen wie sie im Küchenhandel üblich sind, ist es üblich, dass über den Preis verhandelt wird. Und jedes Küchenstudio hat eine gewisse Spanne eingeplant, über die verhandelt werden kann. Doch was ist, wenn der Kunde weniger zahlen möchte, als die Kalkulation zulässt? Soll man ihn dann ziehen lassen oder zähneknirschend unter seinen Mindestpreis gehen? Wie so oft im Leben gibt es leider keine einfache Antwort auf diese Frage, aber immerhin gibt es eine und die lautet: Es kommt drauf an.

Vielschichtige Kalkulation
Es kommt nämlich darauf an, wie das Küchenstudio insgesamt dasteht. Das Interesse eines Küchenhändlers ist es, eine hohe Marge zu erzielen. Um diese zu erreichen, definiert er einen Wunschpreis, der im System hinterlegt wird. Nach Praxiserfahrungen hat sich hier ein erster Preis von 205 Prozent vom Netto-Einkaufspreis zum Brutto-Verkaufspreis bewährt. Dieser ergibt sich aus einer Kalkulation, in die verschiedene Komponenten einfließen. Zu den Gesamt- und Einzelkosten der geplanten Küche zu Einkaufspreisen werden weitere Kosten aufgeschlagen. Dazu gehören die durchschnittlichen Reklamationskosten, die Kosten für Mitarbeiter, Küchenstudio und Beratung, die Aufbaukosten und die Aufwendungen für die Kundengewinnung. Zuletzt kommt der gewünschte Gewinn hinzu. Diese Posten zusammen bilden den Wunschpreis. Beim Mindestpreis fällt der Gewinn weg. Wird die Küche zum Mindestpreis verkauft, sind die Kosten gedeckt – Ware, Aufbaukosten, prozentualer Aufschlag für die Fixkosten sind also mit dem Küchenverkauf abgegolten. Der Verhandlungsspielraum, den der Händler hat, spielt sich im Normalfall zwischen diesen beiden Polen ab. Er wird nicht unter seinen Mindestpreis gehen und sich freuen, wenn er den Wunschpreis in voller Höhe bekommt, was sehr selten vorkommt.

Bereits angefallene Kosten
Dass ein Küchenstudio im Einzelfall auch einmal unter den Mindestpreis geht, hat einen guten Grund. Bis zu dem Punkt, an dem Kunde und Verkäufer über den Preis verhandeln, sind bereits eine Reihe von Kosten angefallen. Für die Arbeitszeit des Mitarbeiters, die bis zur Letztpreisverhandlung für Kundengespräche und Planung anfallen, fallen in der Regel 300 bis 500 Euro an. Dazu kommen Kosten, die entstanden sind, bevor der Kunde überhaupt das Küchenstudio betreten hat, die ihn aber dorthin gebracht haben, wo er ist: die Werbekosten. Nimmt man einen Werbeaufwand von 3 Prozent an und geht davon aus, dass 40 Prozent der Kunden aufgrund kostenpflichtiger Werbung ins Küchenstudio kommen, kann hier ebenfalls eine stattliche Summe zusammenkommen – rund 400 Euro sind für den Kunden ausgegeben, bevor er die Verkaufsräume betreten hat. Bricht der Verkäufer das Verkaufsgespräch ab, bleiben die Kosten auf der Soll-Seite des Küchenstudios. Sie müssen aus dem Rohgewinn des nächsten Küchenverkaufs wieder reingeholt werden.

Ausnahmen bestätigen die Regel
Sollte ein Küchenstudio also versuchen, nicht zumindest einen Teil dieser Kosten wieder hereinzuholen und in der Verhandlung unter Mindestpreis gehen? Ja. Zwar mag der Mindestpreis nicht erreicht sein. Aber wenn die Ware und die Aufbaukosten zuzüglich der gewöhnlichen Reklamationskosten von dem verhandelten Preis gedeckt sind, müssen die bereits entstandenen Kosten nicht aus den nächsten Verträgen gedeckt werden. Händler mit einem niedrigeren Mindestpreis, beziehungsweise Händler, die auch mal flexibel unter ihren Mindestpreis gehen, und einer dadurch höheren Abschlussquote sind besser aufgestellt als Händler mit einem höher angedachten Mindestpreis und dadurch einer schlechteren Abschlussquote. Die Entscheidung ist aber immer aus einer Gesamtbetrachtung zu fällen: Wie steht das Küchenstudio insgesamt da? Ist die Jahresdeckung bereits erreicht? Welchen Stellenwert hat der Kunde? Wenn man bedenkt, dass die beste Werbung ein zufriedener Kunde ist, kann so eine Entscheidung auch eine Investition in die Zukunft sein – auch wenn sie in dem Moment vielleicht ein bisschen weh tut.

Zurück ins Studio
Flexibilität in der Preisverhandlung ist auch aus einem weiteren Grund eine Investition in die Zukunft: Während der Lockdowns, den die Corona-Pandemie mit sich brachte, konnten Küchenstudios Kunden von der Großfläche zurückgewinnen. Denn im Gegensatz zu den Branchenriesen konnte beim lokalen Küchenhändler weitergearbeitet werden. Diesen Vorteil sollten die kleineren Küchenstudios nutzen. Momentan (Stand Anfang November 2021, Anm. der Redaktion) sind die meisten zwar voll ausgelastet (oder sogar überlastet) und werden sich fragen, warum sie sich in einer solchen Situation auf ein Preisgespräch einlassen sollten. Doch der Kampf um die Kunden ist bereits wieder in vollem Gang. Jetzt hat der lokale Küchenhandel die Chance, seine Vorteile auszuspielen, und die Kunden zurück in den lokalen Handel zu holen: Individualität und persönliche Beratung sind dabei die Hauptzutaten, Flexibilität in der Preisverhandlung das Salz in der Suppe.

www.seb-steuerberatung.de