24.09.2024

Auf die zeitlich bedingte Umkehr von Küchentrends ist Verlass. Ein mögliches Revival überrascht dennoch: Die Hochglanzküche tritt wieder in Erscheinung – und mit ihr die Sehnsucht nach Leichtigkeit in schweren Zeiten.

Die EuroCucina in Mailand gibt einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte: Hochglanzküchen, zum Beispiel. Foto: Stosa Cucine

Früher als opulent verschrien, fügen sich Hochglanzfronten heute mit Holz- und Steinflächen ideal in den modernen Küchenraum ein. Foto: Molteni

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das haben die vergangenen Monate hervorragend unter Beweis gestellt: Auch Edelstahl, Aluminium und Kupfer erstrahlen nämlich seit einiger Zeit als Oberflächen im trendbewussten Küchenraum – und mit ihnen Spiegelfronten, die durch ihr illusorisches Versteckspiel die Möglichkeiten der modernen Küchenplanung anschaulich reflektieren. Wer genau hinschaut, entdeckt inmitten der schimmernden Vielfalt sogar die ein oder andere Hochglanzküche. Ein Comeback auf leisen Sohlen? So oder so: Die derzeitige Küche, jedenfalls jenes visionäre Produkt, das auf Messen zu sehen ist, wendet sich zunehmend vom geradlinigen Einheitslook in matter Ausführung ab.

Wunsch und Wirklichkeit
Die Zeichen stehen vielerorts auf Veränderung. Anstelle von schlichten Fronten in matter Optik erobern Rahmen und Rillen, faltbare Schiebetüren und polygonal geformte Kochinseln den Küchenraum. Zusammen mit dem gehypten „Metallic Look“ verschaffen sie der Küche ein Podest, das es so kein zweites Mal im modernen Zuhause gibt.
Noch mögen die fantasiereichen Entwürfe nicht im regionalen Showroom, geschweige denn in privaten Küchenräumen angekommen sein. Überhaupt: Die krisenbehaftete Stimmung der weltweiten Küchenbranche lenkt einmal mehr den Blick auf die eklatante Unwucht zwischen Wunsch und Wirklichkeit, nämlich dann, wenn in Mailand die schillernde Vielfalt der individuellen Küchenplanung ausgerollt wird, während bei Küchen Müller oder Meier gerade die letzte Hochglanzküche das Studio verlässt.
Grund genug, rechtzeitig anzudeuten, dass sich das nun wieder ändern könnte. Dabei sieht die Lage vor Ort derzeit noch ganz anders aus: Auf der Großfläche des Möbelhandels mag sich das Duell zwischen Hochglanz und Mattlack in den vergangenen Jahren zwar ohnehin nicht entschieden haben, aber selbst dort – und natürlich auch im spezialisierten Einzelhandel – ist die Vorliebe für matte Fronten und eine puristische Küchenästhetik in den vergangenen Jahren nahezu lückenlos eingezogen. Dass die angepriesene Trendvielfalt der Industrie nicht zwangsläufig mit Geldbeutel und Wunschvorstellungen von Käuferinnen und Käufern übereinstimmt, sei dahingestellt. Matte Küchenoberflächen sind flächendeckend en vogue.

Metaphorische Leichtigkeit
Und jetzt das. Die EuroCucina in Mailand hat gezeigt, was auf den Messen in Ostwestfalen auch hierzulande Realität werden könnte: Der Hochglanzlack meldet sich zurück. Noch sind es unauffällige Einzelstücke, die sich in die oftmals homogene Landschaft aus matten Lack-, Linoleum- oder Schichtstofffronten einfügen. Aus der italienischen Küche, mit ihrem Hang zu Dramatik und Opulenz, mag die Hochglanzfront nie ganz wegzudenken gewesen sein; entsprechend gehören Produzenten wie Molteni, Stosa Cucine oder Snaidero auch zu den ersten, die die spiegelnden Lackfronten wieder formvollendet in Szene setzen. Und so schließt sich auch schon der Kreis: Wo reflektierende Oberflächen an Bedeutung gewinnen, ist Hochglanzlack die optimale Ergänzung zu Glas, Spiegeln und glänzenden Metallic-Elementen. Was der Küchenbranche derzeit, metaphorisch gesprochen, an Leichtigkeit fehlt, zieht durch die lichtverstärkenden Oberflächen aus Echtlack, Polyurethan oder Acryl wieder in den Küchenraum ein.

Gleichberechtigtes Miteinander
Anders als früher wollen Hochglanzküchen aber nicht mehr um jeden Preis auffallen. Sie werden als einzelnes Schmuckstück inszeniert, die eine Vitrine, einen Weinkühlschrank oder ein Sideboard in Szene setzen, sich aber ebenso leichtgängig ins reduzierte Raumdesign aus Wohnen und Kochen einfügen. Gleichwohl verspricht der neue Glanz in altem Gewand ein attraktiver Gegenspieler zu naturnahen, opaken Materialien wie Holz oder Stein zu sein, die derzeit im Küchenraum besonders stark gefragt sind.  
Von Bedeutung für das viel beschworene, individuelle Gesicht der Küche bleibt indes das gleichberechtigte Miteinander von Matt- und Hochglanzküchen, bei der der Hype des einen nicht zum Abgesang des anderen führen muss. Viel zu lange und flächendeckend hat sich die matte Küche mit softer Haptik und Antifingerprint-Optik dafür als bevorzugte Planungsvariante ausgebreitet. Ob sich die Hochglanzfront nun auch hierzulande erneut etabliert, wird sich ohnehin erst in einigen Jahren zeigen: Nämlich dann, wenn bedeutsame Messevisionen auch im tatsächlichen Alltagsgeschäft des Handels ankommen. Bis dahin wird die Küche mit Lichtmodulen und Metalleffekten anderweitig zum Strahlen gebracht. Hoffentlich auch bald wieder im Auftragsgeschäft.

Susanne Maerzke