08.08.2014

Sowohl als auch – statt entweder oder

Mit dieser Ausgabe gehen wir tief in den Spagat. Rein journalistisch versteht sich – alles andere wäre ohnehin überambitioniert. Wir berichten in diesem Heft über Inhalte, die auf den ers­ten Blick so kompatibel scheinen wie die Geißens und die Queen – oder Donald Duck und Gustav Gans.

Wir tauchen zum Beispiel in die entschleunigte Welt der Altholzküchen ein. Wenn Menschen die Balken ihres entkernten Elternhauses auf einen Hänger laden und damit zur Schreinerei fahren, um sich Küchenmöbel daraus fertigen zu lassen, hat das Charme. „Holz erzählt Geschichten. Altes Holz erzählt alte Geschichten.“ hat unsere Autorin Astrid Plaßhenrich festgestellt. Nachdem sie Uwe Pfister von der gleichnamigen Möbelwerkstatt in Angelbachtal nahe Heidelberg zugehört hat. In aller Ruhe.
Pfister erzählte von Möbeln, die aus alten Weinfässern entstanden sind und aus den Balken einer Scheune. Und von einer Kundin, die mit dem besagten Hänger vor dem Betrieb vorfuhr, darauf unter anderem ein angekohltes Holzstück mit mehreren aneinandergereihten Löchern. Dieses Stück Holz erinnere sie noch heute an einen Brand auf dem elterlichen Gehöft, den sie als kleines Mädchen miterlebt habe. Bei diesem Brand sei eine Kuh gestorben. Die Experten der Möbelwerkstatt integrierten das his­torische Brett in die neue Küche der Kundin. Als Griffe – die Löcher wurden zu Eingriffen. Wenn Holz beginnt Geschichten zu erzählen, sollte man sich hinsetzen, Ruhe geben und zuhören.
An anderer Stelle in dieser Ausgabe berichten wir über die IFA-Preview in Berlin. Zeit spielt in der aktuellen Gerätewelt ebenfalls eine Rolle. Eine große sogar. Aber anders. Denn alles, was einen Stecker hat, darf möglichst wenig davon vergeuden. Kochen, Backen, Garen, Spülen und Waschen muss fix über die Bühne gehen. Wir sind in Eile. Wir müssen zum nächsten Event, die Arbeitskraft will optimiert und die Freizeit gestaltet werden. Und damit das alles noch hurtiger und perfekter gemanagt werden kann, wird es auf der IFA im September neue Backöfen und Spülmaschinen geben, die per W-LAN ans Internet angeschlossen werden können.
Aus diesen Zeilen könnte man die Tendenz herauslesen: „Entschleunigte Altholzküchen gut – hektische Hausgeräte schlecht!“ Doch so ist es nicht gemeint. Und so einfach funktioniert es nicht. Mit „Verstaubte Holzromantik schlecht – zukunftsfähige Geräte gut!“ kommen wir aber auch nicht weiter. Statt eines apokalyptisch anmutenden „Entweder – Oder“ (Subtext: Es kann nur einen geben), könnte ein „Sowohl als auch“ angemessener sein.
Die Welt der eher beschaulichen Möbelmanufakturen fasziniert. Aber das vermag das auf Komfort und Schnelligkeit zielende Digitale auch. Abschied nehmen sollten wir indes von einem der medialen Vernetzungsdauerbrenner schlechthin: des sich selbst versorgenden Kühlschranks. Das ist eine Idee von Freaks für Journalisten, die über zu wenig eigene Vorstellungskraft verfügen und deshalb den Internetkühlschrank als die Krönung der vernetzten Welt ins mediale Rampenlicht ­rücken.
Jeder, der sich ernsthaft mit vernetzten Hausgeräten beschäftigt, weiß, dass es um solche Spielereien gar nicht geht. Und das ist wohl auch gut so, denn über die Gefahren eines selbstständig agierenden Kühlgerätes wird ja gar nicht offen geredet. Was, wenn ein Virus meinen Kühler befällt und dieser auf eigene Faust 1000 Liter H-Milch via Amazon ordert? Was werden die mithorchenden Staatsschützer dies- und jenseits des Atlantiks denken, was ich mit so viel Milch vorhabe? Und der Mossad erst oder die Spaßvögel beim KGB? Einen besonders perfiden Anschlag planen? Sehr verdächtig wäre das. Gibt es eigentlich Anti-Viren-Programme für Kühlschränke? Vielleicht eine Geschäftsidee. Aber vielleicht sollten wir uns das alles auch noch mal ganz in Ruhe überlegen.
Exotisch mutet auch eine weitere unreflektiert ausgelebte Vernetzungsidee an. Die permanent in Aussicht gestellte Möglichkeit, Kochgeräte aus der Ferne zu steuern. Via Smartphone. Oder sich das Badewasser von unterwegs einzulassen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir ist wohler, wenn ich in der Nähe bin, wenn der Backofen per 3-D-Umluft auf 220° vorheizt. Und die Pyrolyse-Funktion aktiviere ich ebenfalls gern persönlich. Da bin ich vielleicht etwas eigen.
Die Synapsen meiner für Technikbegeisterung zuständigen Gehirnareale klatschen hingegen Beifall, wenn es darum geht, am Tablet online nach Rezepten zu stöbern und die Zubereitung des favorisierten Gerichts später über den handlichen PC im cleveren Ofen zu steuern. Wahlweise per Hitze von oben, unten, der Seite oder mit wohlportioniertem Dampf. Mit vielen anschaulichen Bildern, Balken und Skizzen. So ein vernetzungsfähiges Gerät kann das Kochvergnügen fördern und macht sicher auch in einer Altholzküche eine gute Figur. Ein Spagat, der anfangs vielleicht etwas zwickt, der aber ganz bestimmt nicht weh tun wird,  meint

 
Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@kuechenplaner-magazin.de