Verschollen in der „Content Bubble“
Das Internet spricht gern Englisch, und deshalb heißt Inhalt nicht mehr Inhalt, sondern Content. Damit kann man leben. Schließlich handelt es sich um eine direkte Übersetzung, und diese kann unmittelbar einem Sinn zugeordnet werden. Was beim Begriff Smart nicht immer gelingt – aber das ist eine andere Geschichte.
Content heißt also Inhalt, und Inhalt wird heutzutage bevorzugt in Geschichten erzählt. Lautsprecherslogans der Marke „Wir-sind-die-Allerbesten-Größten-Schönsten“ scheinen irgendwie out zu sein. Das haben alle gemerkt. Außer dem Media-Markt. Für die Storys rund ums Produkt gibt es heute Content Manager, die das alles organisieren. Und da fängt das Dilemma an. Denn immer häufiger gehen wir Geschichtenerzählern auf den Leim – und merken es kaum. Wobei es längst keine betörenden Prinzessinnen mehr sind, die in lauen orientalischen Nächten dem ausufernden Redefluss verfallen, um ihren Hals zu retten. Die Scheherazades von einst heißen Facebook, Google, Apple, Yahoo oder Microsoft. Diese Konzerne, das wissen wir längst, sammeln und archivieren alles, was wir ihnen täglich preisgeben, und schaffen damit verblüffend individualisierte Konsumwelten. Anfangs wunderten wir uns vielleicht noch, warum es plötzlich auf dem Monitor vor lauter Offerten für Victoria’s Secret und Bruno Banani nur so blinkt. Bis auch dem Letzten ein Licht aufging, dass dies irgendwie mit der Suchmaschineneingabe „Parfuem+billig+onlinekaufen“ zu tun haben könnte. „Wie praktisch“, wird mancher gedacht haben. „Endlich mal Werbung, mit der ich etwas anfangen kann.“
Doch so einfach lassen uns die Internetkonzerne nicht davonkommen. Längst haben diese Unternehmen ein fein gesponnenes Profil aus Bits und Bytes um jede Computer-IP gesponnen und wir sitzen in der Falle. In der „Content Bubble“, um in der Internetsprache zu bleiben. Denn Bubble ist ebenfalls Englisch und heißt Blase. Wer glaubt, dass er im grenzenlosen World Wide Web unbegrenzte Informationen abrufen kann, ist auf dem Holzweg. Alles, was wir nach einem Suchmaschineneintrag zu sehen bekommen, ist gefiltert und orientiert sich am bisherigen Surfverhalten. Und natürlich an den Bedürfnissen derer, die dafür bezahlen. Damit entscheiden Google & Co., was wir zu sehen bekommen. Facebook verhält sich ähnlich fürsorglich und schützt uns vor allzu vielen Neuigkeiten. Wir mögen zwar mit Hunderten von Freunden vernetzt sein, aber Tratsch und Klatsch erhalten wir auch hier nur ausgesucht: Der Anbieter entscheidet, was uns interessieren könnte. Sie ahnen es: auf Basis unseres bisherigen Verhaltens an der Maus. Wer eine Zeitlang mit „Likes“ und „Sharing“ allzu sehr geizt, wird kurzerhand aus manchen Verteilern gestrichen. Oder zur Warnung zurückgestuft. Erst wenn ganz viele andere einen Eintrag toll finden, bekommt man ihn zu sehen. Eventuell. Dass auch Facebook Content-Platzierungen als Gelddruckmaschine entdeckt hat, macht die Sache nicht besser. Die freie Informationssuche im Internet ist längst zur romantischen Mär verkommen.
Immer nur auf dem Internet rumzuhacken, ist kein feiner Zug. Schauen wir uns also um, in welchen analogen Informationsblasen wir noch so sitzen. Ganz in unserer Nähe offenbart sich ein dickes Ding. Ikea kriegt die strategische Gefühls- und Wahrnehmungssteuerung auch Offline ganz gut hin. Die Ikea-Welt ist ein immerwährender Midsommar, die Menschen sind nett zueinander, duzen sich, tragen Blumenkränze im Haar und haben Spaß mit bunten Bällen. Kaum etwas, das es nicht gibt im Zeichen des Elchs. Deine Küche, Dein Bad, Dein Schlafzimmer, Deine Teelichter. Dies ist alles so freundlich und familiär und wohldekoriert, dass sich Gedanken an Kritik von allein verbieten. Die Family-Card in der Geldbörse als allgegenwärtige Mahnung, Nettigkeit mit Nettigkeit zu vergelten. Am besten an der Selbstscanner-Kasse. Man geht schließlich auch nicht schick gekleidet zum 90. Geburtstag von Oma Elsbeth, um dort nur zu stänkern. Bei Einrichtungskonzernen wie Ikea ist es im Grunde nicht anders wie mit Google und Facebook – auch hier wird die Wahrnehmung immer feiner gefiltert und gelenkt, bis die Scheuklappen so eng sitzen, dass die Sicht auf die Dinge plötzlich ganz einfach wird. Futter für den Stammtisch.
Die Welt hat sich verändert und die Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben muss neu überdacht werden. Aber wir wollen es mitten im Advent mal nicht so negativ sehen. Im Grund besteht die Welt aus lauter „Content Bubbles“. Manche betritt man aus Überzeugung, manche mit Skepsis, andere dieser Blasen stülpen sich hinterrücks über einen drüber. Die Kunst ist zu wissen, wann man sich wo befindet und wer eigentlich was von einem will. Nicht immer einfach, aber machbar. Wer aber völlig blauäugig auf all das reagiert, was ihm On- wie Offline angeboten wird, droht in einer der Info- und Wahrnehmungsblasen verloren zu gehen.
Die nächste „Bubble“ wartet übrigens schon. Und wir können sie sehr empfehlen. Weihnachten auch, sicher. Aber gemeint ist die LivingKitchen vom 19. bis 25. Januar in Köln. Eine Woche nichts als Küche. Es gibt weitaus unangenehmeren „Content“, meint
Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@kuechenplaner-magazin.de
PS: Erneut steht der KÜCHENPLANER diesmal auf dem Kopf. Wir haben so viele Informationen über die LivingKitchen und die Präsentationen der Aussteller gesammelt, dass wir diese in einem separaten Heftteil zusammengefasst haben. Eine gedruckte „Content Bubble“. Einfach wenden und loslesen. Lassen Sie sich inspirieren!