23.10.2019

„Gibt’s jetzt auch in Schwarz“

Die Hausausstellungen der Küchenmeile werden immer kreativer. Es wird mit Materialien gespielt, mit Formen, Funktionen und Konzepten. Vielfalt wohin das Auge blickt. Geradezu berauschend. Ein Hauch von Mailand. Und dann kommt sie, diese für die Küchenmeile 2019 fast allgegenwärtige Bemerkung: „Und das gibt’s jetzt auch in Schwarz.“

Wie im Schattenspiel: Diese Impression aus der Blanco Ausstellung auf Gut Böckel bringt den Schwarz-Trend atmosphärisch dicht auf den Punkt. Foto: Biermann

Lust auf frisches Grün: Der voll­automatisierte Gewächsschrank des Münchner Unternehmens Agrilution bringt das Konzept von „Vertical ­Farming“ einbaugerecht in die heimische Küche. Foto: Biermann

Der Hauswirtschaftsraum, beziehungsweise eine entsprechende Zeile, findet längst auch in besonders eleganten ­Küchen statt. Diese Umsetzung rückte ­Häcker Küchen in den Spot der Deckenbeleuchtung. Foto: Biermann

Viele Sortimentsneuheiten sind erst auf den zweiten Blick sichtbar, haben die jeweiligen Unternehmen in den letzten Monaten, teilweise sogar Jahre, jedoch intensiv beansprucht. Dazu zählen neue Korpushöhen wie ­unter anderem bei Häcker („ClassicMax“), Schüller und Ballerina, die Vereinigung von XL-Korpus und Grifflos-Konzept „Line N“ bei nobilia (und thematisch ähnlich bei Rotpunkt) oder die Einführung des komplett neuen Auszug­systems „Optimus“ bei Schüller (Foto). Foto: Biermann

Bauherr in Melle: ­Sebastian Flint, Marketingchef, KH System ­Möbel. Foto: Biermann

Bauherr in Löhne: Stefan Waldenmaier, Vorstand der Leicht Küchen AG. Foto: Biermann

Ob Küchenmöbelhersteller, Geräteproduzent oder Zubehörspezialist: Tatsächlich verzichtete in diesem Messeherbst gefühlt kein einziger Hersteller auf die Lobpreisung der besonderen Eleganz matt-schwarzer Oberflächen. Und so hatte sich die Industrie zur ­Küchenmeile 2019 reichlich eingedeckt mit entsprechend gestalteten Griffen, Regalprofilen, Armaturen, Becken, Fronten, Geräten und Arbeitsflächen. Selbst die Innenausstattung schwört immer häufiger auf den zeitgemäßen Ton im gedeckten Anthrazit. Das wirkt in vielen Umsetzungen wohnlich und elegant und erfüllt damit die Ansprüche des Zeitgeists ans moderne Mobiliar. Denn das soll schließlich verbindend wirken, die Grenzen von Küche, Essen und Wohnen vergessen lassen und zu einem harmonisierenden Miteinander beitragen. Jedenfalls in offen konzipierten Domizilen. In der traditionellen Kochküche im Wohnbestand gelten nach wie vor herkömmliche Gesetze, nämlich dass sich helle Farben und freundliche Hölzer förderlich auf die gefühlte Weite des Raums auswirken und deshalb den dunklen Tönen vorzuziehen sind. Doch selbst im offenen Wohnen kann es knifflig werden, wenn die optische Umsetzung allzu monothematisch gerät. Denn ein Zuviel an Dunkelheit am, auf und im Möbel und Drumherum schlägt irgendwann aufs Gemüt. Und so mag die Farbe Schwarz nach dem jahrelang erduldeten Joch reinweißer Einrichtungen verlockend wirken, sollte aber auch nicht übertrieben werden. Als Akzent geht Schwarz aber immer und führt verbreitet zu Ergebnissen, die dem Auge zu schmeicheln verstehen: in Kombination mit Beton, Holz, Keramik, Glas, Stein oder Farbe. Auch mit Grau. Ob die Hersteller in ihren Ausstellungen nun allzu spendabel mit den gedeckten Tönen umgehen, stößt auf subjektive Resonanz und in der Folge zu einer Vielzahl von Meinungen. Wie auch immer: Erfahrene Beobachter aus dem Fachhandel wissen ohnehin, dass selten so heiß gegessen wird wie gekocht. Sprich: Messe ist immer auch Show, Inszenierung und im besten Fall ein inspirierender Weckruf für die eigene Kreativität. Auch in diesem Sinn wird Ostwestfalen immer italienischer.

Der Planer entscheidet
Was vorbehaltlos für die Ambitionen der Industrie gilt, Standard-Küchenmöbel in immer weiteren Wohnbereichen unterzubringen. Im Flur, in der Ess-Ecke, im Wohnraum, im Bad, im Schlafzimmer. Selbst im Ankleideraum. „Mehr als Küche“ hat sich als Slogan branchenweit etabliert – ob direkt formuliert oder so gemeint – und durchwirkte in diesem Herbst ganz Ostwestfalen-Lippe. Wobei die Idee sehr unterschiedlich positioniert und mit Leben gefüllt wird. Von „können wir mit unseren Möbeln auch und wollten das einfach mal zeigen“ bis hin zu einem separat definierten Programm mit speziellen Typen und abgestimmtem Zubehör. Gewohnt konsequent geht nobilia mit dem Thema um, unter anderem im Bad mit einem erweiterten Angebot an individuell konfigurierbaren Spiegelschränken und allerlei Accessoires.
Apropos „mehr als Küche“: In diese Kategorie fällt längst auch der Hauswirtschaftsraum. Den hat in­zwischen so gut wie jeder Küchenmöbelhersteller als mögliche Umsatzquelle entdeckt und präsentierte sich damit zur Küchenmeile; manchmal in Zusammenarbeit mit Spezialisten wie Hailo. Ob die Möblierung und Ausstattung des Hauswirtschaftsraums im Zeitalter mengengesättigter Küchen­märkte ein neues und tragfähiges Geschäftsfeld werden kann, bleibt für den Moment offen. Letztlich entscheidet ohnehin die Affinität des jeweiligen Planers und Händlers, ob „mehr als ­Küche“ eine Zukunft hat. Die Industrie ist jedenfalls vorbereitet, falls jemand mag.

Eine Kühlschrankkamera macht noch kein Smart Home
So wie zunehmend beim Thema Vernetzung. Allerdings weniger bezogen auf die Küchenmöbelindustrie als mit Blick auf die Hausgerätehersteller. Auf der IFA Anfang September in Berlin schien sich alles und ausschließlich um das vernetzte Wohnen zu drehen. Und um die Frage, was vernetzbare Hausgeräte dazu beitragen können. Im Mittelpunkt der vernetzten Welt stehen sie nämlich nicht. Die Küchen­gerätehersteller wissen genau, dass ein W-LAN-kompa­tibler Ofen oder eine Kühlschrankkamera allein noch kein Smart Home ausmachen. Das sind allen­falls erste Gehversuche in einem Markt, den noch niemand wirklich überblickt und der durch Technologien mit so­genannter künstlicher Intelligenz zusätzlich an Dynamik gewinnt. So viel scheint jedenfalls festzustehen: Kooperationen auf technischer Ebene sind nötig. Und die Bereitschaft, sich trotz Wettbewerbs an offenen Plattformen zu beteiligen. Öko-Systeme werden die auch genannt. Und dies auch – oder gerade – zum Nutzen der Konsumenten, die immer weniger Lust haben, ein Dutzend Apps oder mehr für ihre vernetzte Gerätewelt aktuell zu halten. Jedenfalls laufen die Entwicklungen, die ­Küche im vernetzten Wohnen als Zentrale zu positionieren, vor und hinter den Kulissen auf Hochtouren, und der Küchenfachhandel scheint gut beraten, sich mit dem Einmaleins der Heimvernetzung zu beschäftigen und sich rechtzeitig mit den Grundlagen vertraut zu machen. Entsprechende Angebote gibt es zum Beispiel von Zubehörspezialisten wie ­Naber und Vogt. Und das mit Sprachsteuerung und ­darüber hinaus. Die sprachgesteuerte Bedienung der Beleuchtung scheint dabei als Thema prädestiniert, um sich dieser für Laien etwas unübersichtlichen Thematik praxisnah zu nähern. Auch mehrere Küchenmöbelhersteller probierten sich in diesem Herbst damit aus, wenngleich in der Summe und von der Intensität vergleichsweise verhalten. Eine der exempla­rischen Ausnahmen ist das Unternehmen Ballerina-Küchen, das schon im vergangenen Jahr eine Spielart der digitalen Küche in Holzwerkstoff kleidete und dies jetzt fortführte. Eine andere Ausnahme ist Nolte Küchen. Das Team um Ulrich Wostbrock (Leiter Produktmanagement bei Nolte) setzte nicht nur die Lichtsteuerung per „Zauberwürfel“, Sprache und ­Geste in Szene, sondern auch die Höhenverstellung von Arbeitsflächen per Handauflegen. Das funktioniert auf Basis eines sensitiven Lackes und mit jedem Arbeitsflächenmaterial, erläuterte Ulrich ­Wostbrock das erstaunliche Wirkprinzip. Details wollte er nicht preisgeben. Wer will es ihm verdenken. Die in der Nolte-Ausstellung präsentierte Musteranwendung beeindruckte jedenfalls und vermittelte eine Ahnung, wie die Steuerung von Funktionen in Küchen künftig auch ablaufen könnte. Und dann wird es wohl nicht mehr allein um Licht, Musik oder die ergonomisch vorteilhafte Arbeitshöhe gehen. So wünschenswert die auch immer ist.

Betreutes Backen
Eine besondere Spielart der Vernetzung zieht immer häufiger in Form von Assistenzsystemen in unsere Küchen ein. Auf Grundlage von feinfühligen Sensoren und rasant agierenden Prozessoren soll es zum Kinderspiel werden, ein verzehrfähiges Stück Steak auf den Tisch zu bekommen oder einen exakt durchgebackenen Kuchen. Miele hat in der Einbaugeräte-Generation 7000 dafür nun den ersten Pyrolyse-Ofen mit einer Kamera ausgestattet, und Bosch lässt seine Ambitionen beim betreuten Backen unter dem Siegel KI laufen. Also der Abkürzung für künstliche ­Intelligenz.
Weitere prägende und publikumswirksame Neuheiten der Geräteindustrie sind aktuell: immer mehr Muldenlüfter mit flächenbündigem Dunstabzug, immer mehr Deckenhauben mit Liftfunktion, immer größere TFT-Displays, immer mehr Kombigeräte (Hitze, Dampf, Mikrowelle) sowie erstmals Induktionskochfelder mit Lichtkonzept – eine beeindruckende Innovation, die Schott Ceran vor gut einem Jahr am Rande der IFA vorstellte und die nun von den BSH-Marken Siemens, Bosch und Neff in der Serien-Umsetzung gezeigt wurde.

Vielfalt bieten
Bei den Zubehörspezialisten inklusive der Spülen- und Armaturenanbieter dreht sich immer mehr um individualisierte Vielfalt, Ideenreichtum, Eigenentwicklungen und um die Rolle als Service-Partner für den Fachhandel. Damit wollen die Unternehmen im Wettbewerb mit den Küchenmöbelherstellern punkten. Die haben das Geschäft mit dem Zubehör nämlich längst als attraktive Einnahmequelle erkannt und werben mit ihrem aus der Blockvermarktung bewährten Dauer­argument „Alles aus einer Hand“.

Alle investieren
Und diese Konzentration in der Vermarktung wird schon bald an Bedeutung zulegen. Spätestens wenn die angekündigten Kapazitätserweiterungen der Mengenhersteller Häcker, Schüller und nobilia ans Netz gehen. Was schon ab 2020 beginnt. Diese Erweiterungen seien zwar vorrangig auf den Export ausgerichtet, heißt es, doch wenn die Bänder erstmal laufen, wollen sie gefüttert werden – egal für welchen Markt. „Das geht dann knüppelhart über den Preis“, wähnt mancher in der Branche. Eine Glaskugel ist für diese Prognose wohl überflüssig. Die kleineren, mittleren und mittel­großen Unternehmen der Branche versuchen sich darauf vorzubereiten und inves­tieren ebenfalls: in „automatisierte Losgröße 1“ und andere Technologien; inklusive Logistik. So zum Beispiel bei ­Ballerina, Rotpunkt, Sachsenküchen, Störmer oder kuhlmann (RWK) – und auch Leicht Küchen investiert derzeit im großen Stil. Rund 80 Mio. Euro in eine neue Korpusfertigung samt Versand. Im Gewerbepark Gügling, rund 10 Autominuten vom Firmensitz in Waldstetten entfernt.

Famose Ausstellungen
Zur Küchenmeile 2019 machte Küchenmöbelhersteller Leicht mit einem weiteren Großprojekt Schlagzeilen. Denn pünktlich zum Start der Herbstmessen öffnete die neue Ausstellung Architekturwerkstatt in Löhne die Türen. Das Ergebnis faszinierte viele Besucher, baulich mit viel Industriecharme ebenso wie inhaltlich. Denn Bauherr und Initiator Leicht Küchen stellt dort zusammen mit Liebherr, V-ZUG, Gessi und Inalco aus. Allesamt Premium-Anbieter, die sich perfekt ergänzen. Konzipiert ist die Architekturwerkstatt als Dauerausstellung, Schulungsort und Eventstätte. Ein großer Wurf, wie am Rande der Messe mehrmals zu hören war, und eine Einschätzung, die sich mit der eigenen Wahrnehmung deckt. Eine Einschätzung, die für die von Grund auf neu gebaute Ausstellung von KH Küchen (eigentlich KH System Möbel) in Melle gleichfalls gilt. Ein weiteres Schmuckstück der Küchen­meile. Über die Projekte von Leicht und KH berichten wir noch an anderer Stelle in dieser Ausgabe.

Das ist der Küchentrend
Bleibt die immerwährende und gleichermaßen beliebte Messe-Frage: Was wird denn nun Trend in der ­Küche? Die prägenden Themen lauten weiterhin Nachhaltigkeit, Vernetzung und Individualität. Auch optisch bleibt vieles, wie es ist, und wird von den Herstellern auf hohem Niveau in Details entwickelt. Und das selbstverständlich immer individueller, je nach Wunsch des Handels (und der Verbände) und Bedürfnis des Konsumenten. Also wahlweise mit einer aktuellen Modefarbe (z.B. Jagdgrün, Brauntöne, Rostrot, Coralle), einer metallischen Oberfläche (Gold, Kupfer, Industriestahl), nach wie vor mit viel Naturstein und Keramik (auf der Front, an der Wange, auf der Platte), mit Marmor-Nachbildungen, mit Schichtstoff (Fenix!), mit Eiche, Eiche, ­Eiche, immer öfter mit Anti-Fingerprint-Fronten (selbst im Preiseinstieg), mit dem lebendigen Spiel von ­offenen und geschlossenen ­Flächen (Schiebe- und Einschub­türen), feiner abgestimmten Korpushöhen mit und ohne Raster, mit vielen, vielen Regalen (mit Licht und ohne), vorkonfektionierten Funktions-Nischenwänden, mit smarten Filter-Armaturen, Spülen mit Stufe und großvolumigen Einzelbecken. Der übergreifende Trend lautet also weiterhin: Es gibt nichts, was es nicht gibt, Küche lässt sich mit allerlei Zutaten immer kreativer und in unterschiedlichen Intensitäten umsetzen: in Tiny-­House-Größe, normal und großzügig; in pu­ris­tisch, modern, familiär, ländlich oder im Industrial ­Style. Und das alles, Sie ahnen es, gibt’s auf Wunsch auch in Schwarz.

Dirk Biermann

www.kuechenplaner-magazin.de


Neuheiten und Notizen
Auf den folgenden Seiten haben wir prägende Neuheiten, so manchen Schnappschuss und weitere Impressionen und Notizen von der Küchenmeile 2019 zusammengestellt. Und natürlich aus den Messezentren von area30 über h4k bis Gut Böckel. Noch detaillierter blicken wir in der kommenden Ausgabe, KÜCHEN­PLANER 12/2019, in die Neuheiten-Programme der Hersteller. Unter anderem mit den Fokusthemen Küchen­möbel, Arbeitsflächen, Küchen­zubehör und Dunstabzugshauben.



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