Mehr Marke wagen
Jede Studie sollte doppelt geprüft werden: Wer hat das Werk in Auftrag gegeben und wer wurde befragt? Oft ergibt sich daraus bereits eine Ergebnistendenz. Manchmal sind die Zusammenhänge zwischen Thema und Zeitgeist jedoch derart nachvollziehbar, dass der Argwohn entspannt bleiben darf. So wie kürzlich bei den Ergebnissen einer Umfrage des ZVEI (Verbände der Elektro- und Digitalindustrie). Diese hat festgestellt, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland eine hohe Bereitschaft haben, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Allen voran in Photovoltaik und energiesparende LED-Beleuchtung. Aber auch in Balkon-Kraftwerke, E-Autos, Batterie-Speicher, Smart-Home-Lösungen, sparsame Hausgeräte und die Wärmepumpe. Die Umfrage habe zudem gezeigt, dass die Befragten nicht nur reden, sondern handeln wollen. Rund 80% werden demnach in den nächsten zwölf Monaten konkret in Elektrifizierung und Digitalisierung investieren. Je nach Projekt zwischen 1.000 und 25.000 Euro.
Frei verfügbares Einkommen kann nur einmal vergeben werden
Damit erreicht der Wettbewerb um die Investitionsbudgets eine neue Stufe. Die Küche muss nicht mehr allein die aktuellen Baupreise im Blick halten und sich mit guten Argumenten gegen das Wunschauto oder die Fernreise in die Südsee behaupten, sondern zusätzlich gegen Technologien wie die genannten. Damit wir uns richtig verstehen: In Klimafreundlichkeit zu investieren halte ich für grundsätzlich löblich und notwendig, aber es hat Wirkungen in viele Richtungen. Frei verfügbares Einkommen kann für den Moment nur einmal vergeben werden.
Grundsätzlich dürfte die Bereitschaft der Menschen, in ein Wohlfühlzuhause zu investieren, anhalten. Im besten Fall ist es nachhaltig und energieeffizient. Doch wo steht die Küche nach drei rasanten Coronajahren, die wenig Raum für ein ausgefeiltes Marketing beanspruchten? Und vor allem: Wie wird sie von investitionsfähigen Verbrauchern wahrgenommen? Die Antwort hat unbequeme Züge und lautet: als ein heiß begehrtes und zugleich preislich nebulöses Gesamtprodukt. Status hat seinen Preis. Gewiss. Qualität auch. Transparenz sucht der Verbraucher dennoch vergeblich. Ebenso wenig erfahren die Interessenten über die Herkunft ihrer neuen Küche in den Details. Im Eigenmarkenkosmos verbergen sich sämtliche Zulieferer sogar hinter einem einzigen Namen. Und der allein ist für das Marketing zuständig, das sich je nach Handelsform auch schon mal in der Rabattwerbung erschöpft.
„Wo finden wir statt?“
Angesichts der veränderten Wettbewerbslage stellt sich die Frage, ob sich die Küchenbranche ihre angezogenen Marketingzügel noch länger leisten kann oder will. Dass zum Beispiel die Markt- und Werbekraft von Zulieferern aus dem Bereich der Möbeltechnik viel zu wenig genutzt wird. Als Systemanbieter Grass vor einigen Jahren auf die Idee kam, sich für mehr Marketingpower offensiver in der Einbauküche präsentieren zu wollen, fand das wenig Anklang. Jetzt fragt sich Kesseböhmer offen: „Wo finden wir als Schrankausstatter im Inspirationsprozess des Endverbrauchers eigentlich statt?“ Eine interessante Frage im Zeitalter der digitalen Kommunikation. Sie dürfte alle Zulieferer bewegen. Ebenso die Ausstatter des Wasserplatzes, die immer wahrnehmbarer gegen die traditionelle Rolle als Anhängsel der Küchenplanung aufbegehren und viel für mehr Aufmerksamkeit tun.
Die Hinwendung der Menschen zu einer gut ausgestatteten Küche war zuletzt ein Selbstläufer. Das hat sich aus bekannten Gründen abgekühlt, ist aber weiterhin vorhanden. Nun braucht es tragfähige Impulse, um die Faszination der Menschen für die Küche am Köcheln zu halten. Sonst grüßt das Budget bald vom Dach, aus dem Heizungskeller oder dem Carport.
Das Gesamtprodukt Einbauküche sollte sich weniger hinter austauschbaren Kunstnamen verstecken, sondern offener Ross und Reiter nennen und mehr Markenbewusstsein wagen. Auf und hinter der Front, am Wasserplatz und in den Gerätenischen. Da die Küche ohnehin das ist, was der Planer und die Planerin daraus macht, ist der Weg kein unmöglicher.
Dirk Biermann