Lagerfeuer 4.0
Der Tisch gilt als neues Zentrum des häuslichen Lebens und der Kommunikation. Als Ort, an dem sich Familie und Freunde versammeln. Und als Möbelstück mit Multifunktion. Kurz: Der Tisch ist unser neues Lagerfeuer in einer digitalen Welt.
Auch Alfredo Häberli, der für die LivingKitchen 2019 in Köln die Future Kitchen-Vision „Sense & Sensuality entwickelt hat, ist ein Fan des Tisches. Für ihn ist die Küche wichtiges Bindeglied für das soziale Leben und der Tisch spielt dabei eine entscheidende Rolle, wie er in einem Interview mit der Köln Messe sagte: „Die Küche ist die Seele des Hauses. Zur Küche gehört für mich auch der Esstisch. Schon während des Studiums haben wir die besten Ideen, die besten Modelle am Küchentisch entwickelt. Dafür braucht man noch nicht einmal eine große Tafel – es reicht schon der einfachste, kleinste Küchentisch, um zu skizzieren oder ein Modell zu basteln. Am selben Tisch wird das Essen angerichtet, gespielt, Hausaufgaben gemacht. Für mich ist die Küche unmittelbar angedockt an diesen Tisch.“ Er führt die zentrale Rolle des Tisches u. a. darauf zurück, dass wir im Alltag mit unseren intelligenten Kommunikationsmitteln genug allein sind.
Auge in Auge
Dazu kommt, dass sich auch die Wohngrundrisse ändern. Von der traditionellen Raumaufteilung (Küche mit Küchentisch, Esszimmer mit Esstisch, Wohnzimmer mit Sofa und Couchtisch) geht es Richtung offenes Wohnen. Gerade Küche und Esszimmer verschmelzen nahtlos miteinander. Da gewinnt der Gemeinschaftstisch in zentraler Lage zunehmend an Bedeutung. Er ist mehr als ein Esstisch und wird so zum Herz des Hauses. Am Tisch sitzt man sich gegenüber, sodass die Kommunikation gleichwertiger und fokussierter wird, da man sich direkt in die Augen schauen kann. Dieses gesellige Gefühl kennt man zum Beispiel aus Restaurants oder Biergärten und möchte es vielleicht gerne nach Hause
holen.
Wie im Kloster
Und tatsächlich scheint das bei den Herstellern allgemeiner Konsens zu sein. Auf der imm cologne im Januar wurden Tische in allen möglichen Formen, Farben und Materialien vorgestellt. Hervorzuheben ist die Vielzahl an großen, mächtigen Tafeln für viele Personen. Diese Tische, wie man sie aus Wirtshäusern oder Klöstern kennt, für sechs, acht oder mehr Personen, bezeugen den neuen Gemeinsinn. Man lädt Freunde ein, tafelt zusammen, erzählt, lacht, diskutiert. Dabei bleiben manche Modelle fast im (Holz-)Urzustand – roh gesägt und sehr natürlich wirkend. Doch auch die zunehmende Zahl der Single-Haushalte behält die Industrie im Blick und bietet Esstische auch im kleineren Format. Auffallend sind bei großen und kleinen Tischvarianten die unterschiedlichen Formen der Tischgestelle.
Flexibel und mobil
Wichtig ist die Wandelbarkeit vom kleinen zum großen Tisch. Auszugstische sollten um mehrere Sitzplätze wachsen können. Manche sind auch höhenverstellbar oder werden durch Schubladen komplettiert. Oder gleich ganz als „Hochtisch“ mit entsprechenden Stühlen geplant. Bei diesen Modellen stand die hippe Gastronomie Pate. Ein weiteres wichtiges Verkaufsargument ist die Mobilität. Die Tische sollen leicht zerleg- und transportierbar sein und damit gut zu unserer mobilen Gesellschaft passen. So kann man die häusliche „Feuerstelle“ auch bei einem Ortswechsel unkompliziert mitnehmen.
Sybille Hilgert
Wie der Tisch wurde, was er ist
Die Geschichte des Tisches beginnt mit der Sesshaftwerdung des Menschen und der Erfindung des Hauses. Das Wort wird vom griechischen „diskos“ abgeleitet, weil die Tische bei den Griechen rund wie die gleichnamige Wurfscheibe waren. Da in der Antike meist im Liegen gespeist wurde, dienten die Tische dazu, Speisen und Getränke auf ein erhöhtes Niveau zu bringen, um den Nutzern den Zugriff zu erleichtern.
In mittelalterlichen Häusern gab es statt eines Tisches nur die aus zwei Holzböcken und einer Tür bestehende Tafel, die rasch aufgestellt und nach dem Speisen wieder aufgehoben wurde. Die uns heute bekannten Tischtypen (Wangen-, Bock-, Zargen- und Säulentisch) wurden in der Zeit der Renaissance entwickelt.
Infolge der bürgerlichen Arbeit und des wirtschaftlichen Wachstums wurden neue Werkzeuge erfunden, neue Berufe etabliert und entsprechende Arbeitsräume gestaltet. Da sich auch der Schriftverkehr verstärkte, waren neue Auf- und Ablageflächen gefragt: So entstanden Werkbänke und Bürotische.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts büßte die Küche im häuslichen Bereich ihre zentrale Stellung ein. An die Stelle des Herdes als Versammlungspunkt trat der Esstisch in der „guten Stube“. Um 1800 waren dann nahezu alle Lebensräume mit Tischen in den unterschiedlichsten Ausformungen – vom Steh- über den Arbeits- bis hin zum Esstisch – ausgestattet. Und so ist es bis heute. (sh)